28. Mai 2022

Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast - Teil 2

Wir hatten ja eine Umfrage gemacht und eine darauf aufbauende Auswertung. Es gab dabei kein eindeutigeres Ergebnis, als dasjenige, was den Wert von Lobkarten angeht.

Aber es geht noch besser. Zusammen mit dem Elternrat, der Schulleitung und der Schulsozialarbeit war ein Gespräch mit Herrn Dr. B. anberaumt worden, um das Verbesserungspotential für die Klasse und eine allgemeine Verbesserung des Klimas für Schüler und Lehrer zu besprechen.

Was macht Herr Dr. B.? Wir wissen natürlich nicht, ob er Wind bekommen hat von der Umfrage. Ganz unwahrscheinlich oder unmöglich ist dies nicht. Schließlich haben wir die Umfrage an über zwanzig E-Mail Adressen geschickt. Weshalb sollte also nicht irgendein Elternpaar in einem Gespräch diese Umfrage erwähnt haben und ihn darüber in Kenntnis gesetzt haben. Es war ja auch kein Geheimnis. Also - nochmal die Frage: Was macht Herr Dr. B.?

Er nutzt die Klassenleiterstunde, nicht um über Verbesserungen des Klimas und der Situation von Schülern und Lehrern zu sprechen, sondern um selbst eine Umfrage in der Klasse zu starten. Die Umfrage ist nicht anonym, sondern die Schüler sollen ihre Namen auf die Umfrageblätter schreiben. Die Kinder sind natürlich dementsprechend demotiviert. Leider liegt mir das Original nicht vor, ich würde es hier natürlich gerne präsentieren. Aber es gab natürlich auch die Frage, ob Lobkarten beliebt oder unbeliebt sind. Ja. Wirklich. Lacht nicht. Es ist ernst.

Das ist so ähnlich, wie wenn man in einer Fußgängerzone steht und jeden zweiten vorbeiziehenden Passanten fragt, ob er oder sie nun Sommerzeit gut findet. Man wird für die Frage eine Mehrheit pro Sommerzeit einfahren. Die Gründe hierfür sind bekannt, aber nochmal zur Vollständigkeit: Der Begriff Sommerzeit ist positiv assoziiert mit langen Tagen, Urlaub, Sonne, Wärme usw. Fragt man nun ein paar Meter nebendran wiederum jeden zweiten vorbeiziehenden Passanten, ob er denn im Winter gerne eine Stunde früher aufstehen würde. Was denkt ihr: würde man hierfür eine Mehrheit pro früher aufstehen bekommen?

Um die Geschichte abzukürzen. Herr Dr. B. präsentierte in der Besprechung dann sein Umfrageergebnis, dass 80% der Kinder in der Klasse Lobkarten gut findet.

Wir haben es hier mit einem Beispiel zu tun, das sehr deutlich die Symptome des Stockholm-Syndroms zeigt: die Opfer solidarisieren sich zu ihrem Selbstschutz im Zweifelsfalle mit ihrem Peiniger. Wir haben es zu tun mit einer zufällig ausgewählten Klasse aus einer zufällig ausgewählten Schule. In Deutschland gibt es zigtausend solcher Klassen.

Eine solche Geschichte bestärkt mich doch in der Annahme: Schule geht besser!