8. Juni 2022

Zuständigkeit und Nichtzuständigkeit - Klassenlehrer oder Schulleitung - Die unendliche Geschichte geht weiter

Wer glaubt, eine E-Mail Bestätigung der Schulleitung wäre die Lösung aller Probleme, der irrt sich.

Kurze Zusammenfassung was bisher geschah:

Zwei Brüder (Zwillinge) gehen in eine Klasse. Beide langweilen sich im Unterricht. Einer wird vom Lehrer gemobbt und zum Bad-Boy (wörtliches Zitat: du bist der Bad-Boy der Klasse!) gemacht. Da wir als Eltern eine gesetzlich auferlegte Fürsorgepflicht haben, mache ich mich auf den Weg eine Lösung aus dem Dilemma zu finden. Der Lehrer stellt sich einer Lösung komplett quer. "Wir sind keine Privatschule, wir sind eine staatliche Einrichtung" (wörtliches Zitat). Also machen wir entgegen unserer Überzeugung (Inklusion) einen Test beim psychologischen Dienst des Schulamtes. Seither bekommt der Bad-Boy auch mal andere Aufgaben bzw. darf sich im Unterricht auch mit sich selbst beschäftigen. Und er bekommt die Möglichkeit einen Tag in der Woche in eine Förderklasse einer anderen Schule zu gehen.

Was ist mit dem anderen Bruder? Er leidet immer noch. Er langweilt sich immer noch. Da er dies weniger zum Ausdruck bringt, wird er auch weniger gemobbt. Er leidet trotzdem. Auf die Frage, ob wir mit dem anderen Bruder nun auch so einen Test machen müssen damit er angemessen unterrichtet wird, bekommen wir die Antwort "Ja". Man fasst sich wirklich an den Kopf. Selbst die Grundregeln der Landesschulverordnung werden von einigen Kollegen wehrhaft und häufig erfolgreich mit Füßen getreten.

Also machen wir mit dem anderen Bruder auch so einen Test. Der hat zwar aus verschiedenen Gründen (Nervosität, Pausenlärm, Störungen, andere Begabung, anderer Entwicklungsstand) nicht ganz die geforderte Punktzahl. Die Psychologin spricht sich aber deutlich für eine Förderung aus. Unser Wunsch wird von der anderen Schule angenommen und von der Schulleitung der ersten Schule genehmigt.

Am Abend vor dem ersten Tages in der neuen Klasse schreibt der Klassenlehrer:

Sehr geehrte Frau XY,

leider liegt mir kein Gutachten von Ihnen vor, dass auch Y als hochbegabten Schüler ausweist.
Der Förderplan und auch die Absprachen in Bezug auf Schule2 gelten bisher ausschließlich für X. Darüber hinaus sehe ich diesen Weg für Y kritisch und kontraproduktiv, da er eben nicht wie X hochbegabt ist.
Eine Freistellung für den Unterrichtsbesuch von Y am Schule2 morgen (Mittwoch, 08.06.22) kann ich Ihnen hiermit leider nicht erteilen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. B.

Also - lasst euch den Text gerne auf der Zunge zergehen. Er hat es in sich - abgesehen davon, dass der Mathelehrer mal in den Deutschunterricht der 5. Klasse gehen könnte.

Ein paar sachliche Infos nebenbei. So ein Testergebnis ist vertraulich. Es gibt überhaupt keine Pflicht der Schule oder irgendjemandem das Testergebnis mitzuteilen. In der Hierarchie steht der Klassenlehrer unterhalb der Schulleitung. Das heißt, das Wort der Schulleitung gilt. Nicht das des Klassenlehrers. Noch toller ist die Forderung nach einem Gutachten. Der schulpsychologische Dienst erstellt keine Gutachten. Er führt lediglich Tests durch.

Der kurioseste Teil ist allerdings, dass Herr Dr. B. sich aufschwingt beurteilen zu wollen, ob der Besuch der Klasse in Schule2 produktiv ist oder nicht. Bei Bruder X hat er - trotz sehr deutlicher Hinweise und Hinweise unsererseits - komplett versagt. Nicht nur, dass er die Begabung nicht erkannt hat, er hat X konsequent gemobbt. "X bekommt diese Woche wieder keine Lobkarte, weil er dies und jenes gesagt hat ...", "du hast nicht begriffen, wer hier der Lehrer und wer der Schüler ist" - "... dann folgt Tadel und schließlich Schulverbot ..." - und ähnliche Entgleisungen.

Nach einer schlaflosen Nacht geht für mich der Spießrutenlauf weiter. Ich weigere mich konsequent, dass alle Unfähigkeit von Pädagogen auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird. Am liebsten würde ich für alle Kinder tätig werden. Momentan kann ich nur für das eigene Kind tätig werden. Das ist auch etwas unbefriedigend.

Glücklicherweise ist Y heute eh krank - ist also egal, auf welche Schule er nicht geht.

Zunächst interessiere ich mich für die Rechtslage. Die ist relativ eindeutig. Die Schulleitung steht in der Hierarchie über dem Klassenlehrer, insofern gilt die Aussage der Schulleitung.

Dann habe ich noch ein längeres Telefonat mit der zuständigen Psychologin vom schulpsychologischen Dienst. Auch dieses Telefonat ist eindeutig. Sie sagt ganz klar: Y ist ein Kind für die Förderklasse in Schule2. Sie rät sehr klar von weiteren Tests ab, die möglicherweise keine anderen Ergebnisse liefern, aber möglicherweise eine Belastung für Y darstellen.

Zunächst muss ich feststellen: viele Eltern werden aus viefältigen Gründen gar nicht willens oder in der Lage sein ihre Kinder gegen den Schulmoloch zu verteidigen. Das ist die bittere Wahrheit und ein Teil der Chancenungerechtigkeit. Das System macht die Chancen ungerecht.

Die Geschichte wird fortgesetzt.

Nachtrag

Das Kind X kam nach Hause, als hätten wir ein anderes Kind. Voller Freude! Aufgepumpt mit Glückshormonen, als hätte es einen Cocktail zu sich genommen.