22. Mai 2025
Die Drei F und der Adultismus und die Folgen
Fight, Flee, Freeze - das sind die berühmten drei Fs: Kämpfen, fliehen oder erstarren. Es sind tief in uns angelegte verhaltensbiologische Muster. So weit, so langweilig und bekannt. Die moderne Psychologie lehrt uns nun aber, dass diese Muster in der modernen Welt nicht immer sinnvoll sind. Der Säbelzahntiger hat ausgedient. Als hoch entwickelte Wesen haben wir weitere Verhaltensmuster entwickelt und teilweise erlernt, die in vielen Situationen klüger sind. Dennoch steckt fight, flee, freeze sehr tief in uns drin. Und wird auch recht gut dressiert und gepflegt ...
Adultismus ist so eine alt hergebrachte Verhaltensweise, die den biologischen fight-flee-freeze-Mechanismus konditioniert und entwickelt. Jedes junge biologische Wesen ist vulnerabel. Schaut euch keimende Pflanzen an. Oder junge Säugetiere. Oder kleine Menschen. Kann ein Baby sagen "Bitte lass' mich jetzt in Ruhe"? - Nein, das kann es nicht. Das Baby wird einen der biologisch angelegten Reaktionsmechanismen anwenden, wenn es unpassend behandelt wird. "Ja, aber das muss es aushalten" - sagen nun die Adultisten. Ich sage dagegen: Stopp! Nicht so schnell. Ja, ein kleines Kind hält auch einmal eine Fehlbehandlung aus. Es geht davon nicht gleich kaputt. Aber jede negative Erfahrung aus seinem Umfeld wird dieses kleine Wesen prägen und konditionieren. Jede positive Erfahrung wir das Wesen ebenso prägen und konditionieren. Aus der Forschung von Säugetieren und Pflanzen wissen wir: je besser ein Wesen in der Wachstumsphase gepflegt und gefördert wird, umso bessere Überlebenschancen hat es. Und das gilt auch für den Menschen. Das wird an den Extremen sichtbar. Ein Kind, was ständiger Misshandlung ausgesetzt wird, entwickelt mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit später psychische Auffälligkeiten und Störungen. Und nein, Misshandlung muss nicht immer sichtbare körperliche Misshandlung sein. Psychische Misshandlung ist genauso wirkungsvoll.
Als intelligente Menschen sollten wir diese Gesetzmäßigkeit erkennen und anwenden. Oder anders gesagt: es gibt keine Nachteile, wenn wir kleine Wesen nicht in den fight-flee-freeze-Verhaltensweisen trainieren und konditionieren. Denn die tragen wir zur Genüge eh verhaltensbiologisch in uns. Diese Verhaltensweisen werden vererbt. Die Alternative zu diesen biologisch angelegten Mechanismen heißt communicate - kommuniziere. Der Trick an dieser Strategie ist, dass sie sich nicht vererben lässt. Es handelt sich um eine erworbene Strategie. Und diese können wir nicht früh genug erwerben und nicht gründlich genug. Sehr früh fängt das Kleinkind beispielsweise an zu lächeln. Eine optimale Entwicklung schafft es, das Kleinkind so oft wie möglich aus sich heraus zum Lächeln zu bringen. So trainiert dieses Kind von Anfang an seinen Sympatikus, den Nerv, der den Menschen zur Ruhe bringt.
Aber ... wtf ... was hat Schule denn nun damit zu tun? Genau - das ist der Trick. Auch in der Schule gilt es genau diese verhaltensbiologischen Gesetze zu kennen und zu nutzen. Ein Menschenwesen, dessen Parasympatikus ständig aktiv ist, steht unter Stress und wird eher zur Gewalt neigen als ein Mensch, der eine sympatische Grundstimmung hat. Nun sagen die Traditionalisten: das hat uns doch auch nicht geschadet. Soziologen und Psychologen dagegen wissen: doch, es hat eben doch geschadet. Da die Störungen Ich-synton sind - sie werden vom Träger selbst nicht als störend empfunden - zieht sich dieses schädliche Verhalten quer durch alle Gesellschaftsschichten. Und verursacht dann den gesellschaftlichen Schaden in allen Schichten.
Also folgt daraus: je intelligenter wir die Schulen gestalten, umso besser wird das Lernergebnis sein. Was noch viel bedeutender ist: umso weniger psychische Schäden richten wir bei Kindern und Jugendlichen an. Umso weniger psychisch kranke Erwachsene haben wir. Wäre doch mal ein Ansatz. Oder?
Ich habe mich jüngst mit einem Schüler der Klasse 8 unterhalten. Er macht gerade ein privates Forschungsprojekt. Das heißt: wäre die Anrede Du bei Lehrern wünschenswert und sinnvoll? Das Forschungsprojekt läuft noch. Die Lehrer, die er bisher gefragt hat, halten das Du für nicht angebracht. Die Begründung einer Lehrerin war "weil wir euch ja benoten müssen". Meine Vermutung ist, dass auch viele Schülerinnen und Schüler das Du gegenüber Lehrern ablehnt. Ein Argument könnte sein "da wir dann keinen Respekt mehr gegenüber Lehrern haben". Upps - bei einer solchen Argumentation stolpert mein Hirn. Respekt durch die Anrede? Das würde ja ein tiefes 18. Jahrhundert implizieren. Ich bin der Ansicht, dass eine Person dann Respekt verdient, wenn sie sich selbst vorbildlich, wohlwollend, empathisch und respektvoll verhält. Das hat nichts mit der Anrede, dem Alter, der sozialen Stellung oder der Hierarchie zu tun. Nach dieser Überzeugung ist die Standardanrede "Sie" eher kontraproduktiv in der Schule, da sich autoritäre und adultistische Lehrkräfte genau darauf berufen und dies ausnutzen. Solche Dinge sollten durchgeforscht werden. Bitte.