28. Mai 2024
Rechtsextreme Parolen und die Schule. Gibt es einen Zusammenhang?
Momentan in aller Munde: Rechtsextreme Parolen. Nicht erst ausgelöst durch einen Vorfall auf Sylt in der vergangenen Woche, bei der mehrere Menschen in der Öffentlichkeit rassistische Parolen gegrölt haben. Der Vorfall ging durch ein aufgenommenes Video viral und schlug hohe Wellen. Politikerinnen und Politiker äußerten sich zu dem Vorfall in dem Tenor, dass nun "die ganze Härte des Gesetzes angewandt werden müsste". Von einer "Gefahr für die Demokratie" ist die Rede. Und natürlich von einem "Skandal".
Im Moment spreche ich aus Gründen mit vielen Menschen. Ich lese meine Mastodon Posts regelmäßig. Viele Menschen sind entsetzt über das, was so in der Welt und im Land und in den Köpfen der Menschen vorgeht. Die meisten Menschen sind entsetzt. Die, die die Parolen grölen sind entsetzt. Und die, die die Parolen nicht grölen sind auch entsetzt. Die einen sagen das eine. Die anderen sagen das andere. Miteinander geredet wird kaum noch. Warum auch? Und vor allem: Wie auch? Wenn vernünftige Argumente nicht ausgetauscht werden können, weil sich die Menschen in ihrem Wahnsinn festgefahren haben - wie soll das noch gehen?
Ich erzähle euch ein Beispiel. Jüngst traf ich einen Vater mit seinem 15-jährigen Sohn. Der Sohn hatte Pfingstferien. Für verfünftige Menschen ist klar - auch in den Schulordnungen steht das so: die Ferien dienen der Erholung. Nicht so der Vater mit dem Sohn. Der Sohn hatte diverse Schulsachen dabei und musste jeden Tag für die Schule arbeiten. In den Ferien. "Wenn du nicht lernst, dann nehme ich dir dein Handy weg!" - so die Argumentation des Vaters. Im Gespräch meinte der Vater, dass in seinem Kopf das Ideal wäre, wenn alles wieder so wäre wie bei seinen Großeltern.
Ja. Man darf so etwas denken. Man darf so etwas sagen. Der Vater war natürlich auch entsetzt über den Vorfall auf Sylt. Einen Zusammenhang mit dem bestehenden Schulsystem wollte er nicht sehen.
Psychologen, Hirnforscher und Soziologen wissen es besser. Denn sie haben über die Phänomene geforscht. Sie haben viele Fälle untersucht. Sie haben Studien gemacht. Sie haben möglicherweise sogar praktisch mit den Phänomenen zu tun.
Was macht den Sylter Fall so besonders? Wie können wir wirklich gegensteuern?
Der Sylter Fall ist insofern besonders, als dass auf Sylt normalerweise nicht der abgehängte Teil der Gesellschaft abhängt. Es sind zwar nicht nur die Lindners, die sich auf Sylt herum treiben. Es sind aber maßgeblich Menschen, die nicht vom Bürgergeld abhängig sind. Sagen wir mal Mittel- bis Oberschicht. So wurden beispielsweise auch Kündigungen von Seiten der Arbeitgeber ausgesprochen. Wir können also sagen, dass der Rassismus durch alle Schichten der Gesellschaft geht. Jüngst sprach ich mit der Frau eines ehemaligen Hochschulprofessors. Auch diese Frau meinte, dass sie mit vielem, was in der Gesellschaft geschieht nicht einverstanden sei. "Es fing mit den 68er an." - So die Frau. Es bräuchte auf jeden Fall wieder mehr Autorität. So ihre Meinung.
"Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch" - so sagte ich dem Vater mit dem Sohn. Er meint, das wären aber radikale Ansichten. Nun. Die Ansichten sind nicht von mir. Sie stammen von Bildungsforschenden, die sich mit dem Thema auseinander setzen. Ich habe ihm gesagt, dass John Hattie herausgefunden hat, dass die Wirkung von Hausaufgaben auf den Lernerfolg fast nicht messbar ist. Der Schaden ist aber sehr wohl messbar. Was ist nun radikal daran, wissenschaftliche Studienergebnisse auch auf die Praxis anzuwenden? Man möchte sich an Aristoteles erinnern, der herausgefunden haben will, dass die Erde rund ist. Das war 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Thales stellte entsprechende Überlegungen schon 200 Jahre früher an. Etwa 250 Jahre vor unserer Zeitrechnung berechnete Eratosthenes (ca. 274 bis 194 vuZ) den Erdumfang sehr genau. Es dauerte aber nochmals gut 600 Jahre, bis die katholische Kirche anerkannte, dass die Erde eine Kugel sei. Ähnlich verhielt es sich mit dem heliozentrischen Modell. Galileo Galilei, der das kopernikanische Modell erforschte und vertrat, wurde im Jahr 1633 zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt und musste bis zu seinem Tod im Jahr 1642 in Hausarrest verbringen. Erst im Jahr 1992 wurde Galilei rehabilitiert.
Das ist auch heute noch die gängige Praxis mit wissenschaftlichen Ergebnissen. Es wird so lange an alten Gewohnheiten festgehalten, bis es wirklich nicht mehr geht. Erinnert ihr euch an den Fall des Kinderpsychiaters Michael Winterhoff? In Talkshows herumgereicht, als Bestsellerautor gefeiert? Der Prozess gegen ihn, der erst nach der WDR Dokumentation "Warum Kinder keine Tyrannen sind – Das System Dr. Winterhoff" in Gang gekommen ist, wird verschleppt so gut es nur geht.
Doch was hat das mit den Naziparolen zu tun?
Wir wissen eines: zu autoritären Gesellschaftsformen tendieren zwei verschiedene Menschengruppen. Die einen sind die, die von solchen Systemen profitieren. Nennen wir sie mal die Trumps. Sie ziehen Vorteile daraus, dass sie möglichst viele Gefolgsleute haben, die auch vor Kriminalität nicht zurückschrecken. Dann haben wir jene, die mit geringem Selbstvertrauen unterwegs sind. Menschen mit eingeschränkter Empathiefähigkeit. Menschen, die den Anschluss an die Gesellschaft verloren haben oder sich so fühlen. Auch dies zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Menschen, die den Eindruck haben durch den gesellschaftlichen Wandel an Ansehen oder Wohlstand zu verlieren. Auch dieses Phänomen ist gut erforscht. Ich verweise hier nochmal auf das lesenswerte Buch von Herbert Renz-Polster "Erziehung prägt Gesinnung".
Die alte Autoritätsschule, die noch von vielen Schulleiterinnen und Lehrern gelebt und vertreten wird gehört dabei zu den gut bewährten Brutstätten. Die Eltern tragen ihren Teil mit ihrem Ehrgeiz zur Erhaltung des Systems bei. Ein großer Teil der Schülerschaft wird heute immer noch in Klassenräumen bedroht und gedemütigt. Nur der Rohrstock fehlt. Dagegen helfen auch keine Aufkleber "Schule mit Courage" an den Schulen. Ein Sinneswandel wird erst eintreten, wenn die Autoritätsschule durch die Empathieschule abgelöst wird, bei der kein Kind verloren geht. Eine Schule, an der jedes Kind immer mindestens einen Ansprechpartner hat, an den es sich vertrauensvoll weden kann und auch ernst genommen wird. Die Schule muss für die Kinder da sein. So lange noch ein einziges Kind an einer deutschen Schule leidet, hat die gesamte Schule ihren Auftrag verfehlt. Die Psychologin und Politikerin Marina Weisband in einem Talk: "Je schlechter wir jene behandeln, von denen wir glauben, sie würden uns nichts zurückgeben, desto weniger werden sie uns was zurückgeben."
Wenn Politikerinnen solche Szenen wie die auf Sylt ausnutzen, um ihre Popularität zu steigern, so haben sie ihren Auftrag nicht verstanden. Sie wurden gewählt, um sich um das Wohl des Volkes zu kümmern. Das muss damit anfangen, dass die Schulen verbessert werden. Schule geht besser!