31. Mai 2024

Umfrage: Sollte das Sitzenbleiben in deutschen Schulen abgeschafft werden?

Es ist eine scheinbar belanglose und einfache Frage, die da auf der Website einer Tageszeitung angezeigt wird.

Sollte das Sitzenbleiben in deutschen Schulen abgeschafft werden?

Ich klicke auf die richtige Antwort und weiß schon vorher, dass das Umfrageergebnis erschreckend sein wird. Warum behaupte ich hier, dass gerade ich auf die richtige Antwort geklickt habe? Nun, diese Antwort ist sehr einfach. Weil es genügend Studienergebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt. Und es ist für mich ein weiteresmal erschreckend, dass die Mehrzahl der Teilnehmenden die falsche Antwort anklicken.

Auch wenn ich mich im Freundes- und Bekanntenkreis so umhöre, so besteht sowohl bei Lehrenden als auch bei Eltern und Schülern ein gefährliches Halbwissen über die Zusammenhänge.

Ein paar Fakten dazu.

John Hattie bewertet den Effekt mit einer Stärke von -0,32. Damit ist die Nicht-Versetzung eines der stärksten Faktoren, um den Lernfortschritt zu behindern.

Finnland, Estland und andere Pisasieger kennen das Sitzenbleiben nicht.

Die Abschaffung des Sitzenbleibens hätte verschiedene Vorteile.

  • Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr damit drohen, dass Schülerinnen oder Schüler nicht versetzt werden.
  • Die Verantwortung für den Lernfortschritt würde wieder an die Schulen übertragen - dort, wo sie auch hin gehört
  • Die Schulen würden gezwungen, jedem Schüler das für ihn optimale Lernsetting und Unterstützung zu bieten
  • Schülerinnen und Schüler, die nicht bedroht werden, lernen besser.

Das nur als grobe Orientierung. Ein Sitzenbleiber trägt sein Leben lang das Stigma des Sitzenbleibers. Es brennt sich sozusagen in sein Leben fest. Es ist eine der Maßnahmen, mit der das System Menschen zu Verlierern in der Gesellschaft macht.

Besonders tragisch ist, dass die Mehrheit der Menschen diese einfachen Zusammenhänge nicht kennt und auch nicht kennen will. Was schon immer so war, muss auch immer so bleiben. Immerhin 75% der an der Umfrage Teilnehmenden, stimmten für "Sitzenbleiben soll beibehalten werden". Möglicherweise haben nur vier Teilnehmende mitgemacht und ich war der einzige, der für die richtige Antwort gestimmt hat. Ich schaue morgen nochmal nach.

Eine solche Tragik zieht sich quer durch die Gesellschaft. Die Argumente für die falsche Antwort sind ebenso tragisch wie empathielos. "Es muss doch eine Auslese geben ..." - "Diejenigen, die nicht richtig lernen dürfen doch auch nicht noch belohnt werden." - "Wer nicht lernt, muss dafür die Konsequenzen tragen - das ist im späteren Leben ja auch so."

Nur: das ist alles zu kurz gegriffen. Fakt ist, dass sich die Gesellschaft die Verlierer einfach nicht mehr leisten kann. Verlierer sind für die Gesellschaft einfach nur teuer. Oder sehr teuer. Sie belasten nicht nur die Sozialsysteme. Sie fallen als Leistungserbringer aus. Sie sind anfällig für Drogenkonsum, extreme Ansichten, Verschwörungstheorien und Kriminalität.

Bitte bedenkt dies, wenn ihr nächstens über das Thema sprecht. Schule geht besser.