14. April 2022
Ostsee-Zeitung: "Große Lernrückstände bei Schülern in MV: Nachhilfe boomt mit Corona"
Ganz am Puls der Zeit beschäftigt sich die Ostsee-Zeitung heute hinter einer Bezahlschranke mit den Lernrückständen durch Corona. "um mehr als das Doppelte im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie" ist der Bedarf an Nachhilfe gestiegen, so der Artikel. "Schülern fehlen die Grundlagen" ... aber - Hoffnung droht - es gibt ein Förderprogramm! "Juhuuu!!! Alles wird gut!" - möchte man ausrufen.
Für das Programm „Aufholen nach Corona“ stellt der Bund laut Angaben des Artikels 5 Mio. bereit, vermutlich für Mecklenburg-Vorpommern. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es rund 187.000 Schülerinnen und Schüler (inkl. beruflicher Schulen). Das macht nun pro Schülerin/Schüler ziemlich genau 26,73 Euro Förderung. Die 2 Milliarden auf 10,9 Schülerinnen und Schüler bundesweit ergeben 183,48 Euro pro Schülerin/Schüler, das sind gerade einmal 14,56% des Nachhilfeaufwandes.
Wenn man sich die Studienlage über die Wirksamkeit von Nachhilfeunterricht anschaut, dann bietet sich ein sehr uneinheitliches Bild. Was auch nicht sehr verwunderlich ist, denn Doppelblindstudien sind mit Nachhilfeunterricht kaum zu machen. Eltern und Schüler, die sich der Nachhilfe hingeben, werden kaum von sich behaupten, dass das nicht wirkungsvoll ist, schließlich investieren sie viel Zeit und Geld in die Maßnahme.
Luplow und Schneider (2014) resümieren die Ergebnisse beider Studien sehr bündig:
„Und was bringt Nachhilfe? Es zeigte sich mit den von uns analysierten Daten bei Schülern, die bezahlten Nachhilfeunterricht in
Anspruch nehmen, keine gesteigerte Kompetenzentwicklung. Ähnliche Ergebnisse erzielte die Studie von Hosenfeld (2011), der ebenfalls keinen Einfluss von Nachhilfe auf die Entwicklung von Mathematikkompetenzen von der fünften auf die sechste Jahrgangsstufe nachweisen konnte“
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Betreiber eines Nachhilfeinstitutes Werbung für seine Dienstleistung macht, so wie es im Artikel der Ostsee-Zeitung der Fall ist. Aber wir können doch auch mal fragen: Geht Schule nicht besser?
Schule geht besser - hier ein Vorschlag.
Weiterbildung für Schulleiterinnen und Schulleiter und Lehrer und Lehrerinnen. Warum denn das? Lehrerinnen und Lehrer und Schulleiterinnen und Schulleiter sind doch bereits durch ihr Studium und die bereits durchgeführten Weiterbildungsmaßnahmen sehr gut ausgebildet. Aber: Lehrerinnen und Lehrer und Schulleiterinnen und Schulleiter sind Multiplikatoren. Eine gezielte Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrer und Schulleiterinnen und Schulleiter hat demnach eine vielfache Wirkung gegenüber Nachhilfe, die lediglich die Mängel ausgleichen kann, die durch schlechten Unterricht entstehen. Guter Unterricht braucht keine Nachhilfe. Wir müssen also nur dafür sorgen, dass an den Schulen guter Unterricht gemacht wird. Dazu gehört auch, dass Eltern aufgeklärt werden. Nein, nicht jeder Schüler braucht eine eins in Mathe. Eltern müssen wissen, dass sie ihren Kindern mit zu viel Notendruck Stress machen und den Kindern damit keine bessere Zukunft winkt. Die bessere Zukunft winkt den Kindern, wenn sie sozialkompetent sind, Selbstvertrauen haben und Verantwortung übernehmen können. Das geht auch ohne einser Zeugnis. Vielleicht geht es mit einem passenden Zeugnis sogar besser als mit erzwungenermaßen hochgepimpten Noten.
Vielleicht fehlt einfach die Begeisterung für Mathe. Oder für Deutsch - oder ein beliebiges anderes Fach. Was hülfe? Wenn die Lehrer Begeisterung wecken könnten. Zugegebenermaßen, das ist anspruchsvoll. Deswegen brauchen wir auch mehr Lehrer. Wir brauchen aber nicht einfach nur mehr. Wir brauchen mehr Lehrer, die abseits von Lehrplänen und Rahmenvorgaben die Begeisterung wecken können etwas zu lernen. Geld wäre offensichtlich da. Das Wissen wäre auch da. Es fehlt nur der politische Wille.
Wie so oft, blicken wir wieder einmal nach Finnland. "In Finnland wäre private Nachhilfe undenkbar, weil es die Schule als ihre Herausforderung sieht, jedes Kind individuell zu fördern." sagt Aila-Leena Matthies, Professorin für Sozialarbeit an der Universität Jyväskylä - (Focus)
Weitere Informationen:
Studie der Berteslmann-Stiftung (2016) von Prof. Dr. phil. Klaus Klemm und Dr. Nicole Hollenbach-Biele
Wie relevant ist die gesetzliche Fortbildungsverpflichtung für Lehrkräfte? Eine empirische Untersuchung zur Fortbildungsteilnahme in verschiedenen deutschen Bundesländern (Zeitschrift für Bildungsforschung, 2020)
Das Deutsche Schulportal: Was bringt eine Fortbildungspflicht für Lehrkräfte?