20. Juli 2024

Neues Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK

Bitte achtet auf eure Fußnägel. Sie könnten sich gleich aufrollen.

Der Spiegel titelt »Geschichtsbild der Kinder stark auf Hitler zentriert« - Große Lücken im Politikunterricht – Bildungsforscher für einheitliche Standards.

Und verweist auf ein neues Gutachten, das die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz erarbeitet hat. Diese Kommission ist höchstwertig besetzt. Jedem Namen ist ein Doktortitel vorangestellt. Es spricht nichts gegen Doktorentitel.

Schon der Einleitungstext macht jedoch klar, dass hier Autorinnen am Werk waren, die gerne in wissenschaftlichen Kommissionen sitzen. Mit Schulpraxis und vor allem dem Erleben von Kindern und Jugendlichen hat eine Aussage wie

Das betrifft zunächst den politischen und historischen Fachunterricht, der unverzichtbare grundlegende Beiträge zur Bildung mündiger Bürger:innen leistet.

wenig zu tun.

Hand auf's Hirn: Brauchen wir wirklich nochmal ein Schulfach, in dem autoritäre Lehrpersonen Schüler mit schlechten Noten bedrohen, wenn sie nicht die richtigen Antworten geben? Zahlreiche Untersuchungen der Hirnforschung und Lernforschung zeigen, dass weniger die Inhalte auf den jungen Menschen prägend wirken, sondern Wertschätzung der Lehrpersonen. Ich habe neulich einen satirischen Beitrag gelesen, in dem sinngemäß stand:

Neues Schulfach: Glück! Das Glücksbuch ist dreimal schwerer als der Schulatlas und die Glücksprüfung ist so schwer, dass kaum jemand eine vier erreichen kann. Alle Schülerinnen sind angehalten mindestens zwei Stunden am Tag an ihren Glückshausaufgaben zu arbeiten. Das Schulfach Glück wird von einem frustrierten Lehrer alter Schule unterrichtet, der in zwei Jahren in Rente geht.

Der Einleitungssatz des 76seitigen Werkes lautet:

Weil aktuell der demokratische Rechtsstaat von unterschiedlichen Seiten unter Druck gerät, rückt Demokratiebildung verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit

Schon an dieser Stelle muss jede Leserin laut aufschreien! Denn was hier betrieben wird, ist ganz klar eine Ursachenumkehr. Die erwähnten unterschiedlichen Seiten sind die Schülerinnen von gestern. Es sind genau jene Menschen, die das menschenverachtende System durchlaufen haben, in dem schon seit Jahrzehnten Expertenkommissionen um die Wette doktern. Versteht ihr die Realsatire? Das Schulsystem war schon vor 50 Jahren kaputt.

Der nächste Satz ist nicht besser. Es steht dort etwas von der Vermittlung fachlicher Kompetenzen und der Förderung von Chancengerechtigkeit. In kaum einem anderen Land ist die Bildungsungerechtigkeit so groß wie in Deutschland. Und jetzt wird Chancengerechtigkeitsunterricht eingeführt, um dieser Misere zu entgehen?

Nun kann man dieses 75seitige Werk Satz für Satz durchgehen, und findet dabei mehr Widersprüche als wirkliche Leitlinien.

Für die lernwirksame und konstruktive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven ist nicht zuletzt die Gestaltung des Unterrichts im Sinne einer dialogischen Klassengesprächsführung wichtig.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn allerdings schon die Klassenleiterstunde für den Lehrer nur eine Pflichtübung ist, die im Frontalformat abgehalten wird, ist der Schulalltag für Kinder und Jugendlich als bedenklich anzusehen. Eltern, die darauf hinweisen, dass genau in dieser Klassenleiterstunde das große Potential für ein gelingende Unterrichtsklima angelegt wird, werden öffentlich diskriminiert und als Problemeltern hingestellt. Auch Philosophie wird häufig als Frontalunterricht abgehalten. Im Musikunterricht wird die Hefterführung benotet. Dies sind nur drei Beispiele adultistischer und demütigender Strukturen in den Schulen.

Ich habe in den letzten vier Jahren mit vielen Experten und Betroffenen gesprochen. Ich hatte ausführliche Gespräche mit Schulpsychologen, mit Schulleiterinnen, mit Lehrern (privat und im Dienst), mit Eltern und Schülern. Ich habe tatsächlich nur sehr wenige Menschen getroffen, denen die ganze Tragweite des Problems wirklich klar ist. Einiges davon findet ihr in den anderen Blogartikeln. Ich kann nur immer wieder betonen, was andere Expertinnen und Experten schon lange fordern: die Anpassungen dürfen nicht nur kosmetischer Natur sein, sie müssen grundlegend sein.

So braucht es einen verpflichtenden Verhaltenskodex für Lehrpersonen. Lehrerinnen müssen in ihrem ethischen und wertschätzenden Verhalten geschult und unterstützt werden. Wo das nicht hilft, müssen sie aus dem Schuldienst ausgeschlossen werden. Das findet ihr radikal? Nein, das ist es nicht. Ein Päckchenbote, der seine Päckchen fehlerhaft zustellt, wird ja auch entlassen. Eine Kassiererin, die ihren Job nicht ordentlich macht, kann diesen nicht weiter machen. Ein Lastwagenfahrer, der seine Ladung nicht zum Ziel bringt, wird sich früher oder später einen neuen Job suchen müssen. Es gibt genügend Anleitungen, wie sich dieser Paradigmenwechsel leben und durchsetzen lässt. Zahlreiche Schulen machen das ja bereits vor. Anteilsmäßig sind es aber noch viel zu wenig.

Wie wäre es, wenn Frau Stark-Watzinger und alle ihre Kultusministerinnen einfach verpflichtend Aula an allen Schulen zur Pflicht machen würden? Wie wäre es, wenn ab morgen alle Klassenraumtüren einfach offen blieben? Wenn den Lehrerinnen verboten würde, mehr als 20 Minuten Frontalunterricht abzuhalten? Es wären einfache und sinnvolle Regeln, die den Schulalltag aller verbessern würde. Es würde nicht mehr Geld kosten. Es hätte sofort einen Nutzen. Und der Nutzen wäre langfristig und nachhaltig.