21. August 2024
Mobbing im Lehrerzimmer? Lehrermangel hausgemacht?
Der Spiegel Titel vom Januar des Jahres lautet Arbeitsplatz Schule - Hölle Referendariat - so werden die Lehrer von morgen vergrault [€]. Einmal mehr für mich ein Grund ein Probeabo abzuschließen. Der Artikel beschreibt anhand von konkreten Fallbeispielen, wie es Referendarinnen und Referendaren an deutschen Schulen ergehen kann. Es wäre sicher falsch zu behaupten, dass diese Erfahrungen die Regel sind. Es wäre abergenauso fatal zu glauben, dass es Ausnahmen sind. Ich sag's mal so: man hört solche Geschichten immer wieder.
Ich saß gestern bei einem Date mit einer Ärztin zusammen. Nach meinem Eindruck haben wir uns gut unterhalten. Ihr Sohn war vom ersten Schultag an Leistungsverweigerer. Dennoch ist sie der Ansicht, dass an den Schulen mehr Druck ausgeübt werden müsse, dass die Schülerinnen und Schüler "auch wirklich etwas lernen". So wirklich wurden wir uns bei dem Thema nicht einig. Bei diesem Gespräch befinden wir uns in Mecklenburg. Es könnte aber auch irgendwoanders stattgefunden haben. "So wie wir", so sind viele Eltern der Ansicht, "wir mussten ja auch lernen". Das Argument begegnet mir immer wieder. Was dieses Argument nicht berücksichtigt ist, dass sich die Welt, die Gesellschaft und die Erkenntnisse in den letzten dreißig oder fünfzig Jahren doch geändert hat. So ist jegliche Gewalt gegen Kinder verboten - das schließt auch psychische Gewalt ein. Genau genommen ist eine Drohung mit schlechter Zensur verboten, was aber viele Lehrerinnen und Lehrer einfach ignorieren.
Was ist die Folge von Fehlbehandlung von Kindern durch Lehrkräfte? Die Folgen sind Lernverweigerung, emotionale Entbehrung, psychische Schäden, die erst viel später zum Ausbruch kommen, hohe Folgekosten für die Gesellschaft, Leistungsverweigerung und mehr. Auch wenn das jetzt für den ein oder anderen Leser oder die ein oder andere Leserin komisch klingen mag: nein, wir können Kinder und Jugendliche nicht zur Übernahme von Verantwortung zwingen. Denn das lässt das Gehirn nicht zu. Bei Zwang schaltet das Gehirn in den Überlebensmodus und der verhindert den Lernprozess zuverlässig. Das ist schlicht die Biologie des Gehirns.
»Freundlich sein können Sie in der Grundschule, aber nicht hier am Gymnasium.«
Aussage eines Fachleiters nach der Erinnerung einer Ex-Referendarin
Warum erzähle ich euch solche Geschichten? Nun, wir dürfen davon ausgehen - wie auch der Spiegel Artikel deutlich schreibt, dass die meisten Referendarinnen und Referendare mit guten Intentionen und vermutlich auch moderneren pädagogischen Ansätzen in ihren Schulalltag einsteigen, als dies gestandene Lehrerinnen und Lehrer mit dreißig oder vierzig Jahren Schulerfahrung tagtäglich leben. Was nicht heißen muss, dass jeder Lehrer und jede Lehrerin, die in den Beruf einsteigt, auch wirklich eine Vorstellung von moderner Pädagogik haben muss. Wir wissen, dass die universitäre Ausbildung mitnichten auf den Beruf vorbereitet. Wir wissen, dass es keine Prüfung auf Eignung für den Lehrerberuf gibt. Wir wissen auch, dass die Motivation, den Lehrerberuf zu ergreifen sehr unterschiedlich sein kann. Ich erinnere mich nur an das Argument, welches mir ein Lehrer persönlich im Elterngespräch gegeben hat: Familie und Beruf lässt sich gut miteinander vereinbaren.
Insbesondere die älteren Lehrkräfte haben das preußische Top-Down-Prinzip komplett verinnerlicht und vertreten den Standpunkt, dass Schülerinnen und Schüler genau das Wissen in sich hineinzufressen haben, was ihnen vorgesetzt wird. Dazu mindestens drei Stunden Hausaufgaben täglich zu machen haben. "Weil sie sonst nichts lernen". Nicht umsonst trägt der Lehrer auch die Bezeichnung Pauker. Junge Lehrkräfte sind oft nicht bereit, dieses System mit zu tragen. Sie merken, dass es sie nicht befriedigt und nicht befriedigen wird.
In der ersten Unterrichtspraxis prallen dann die verschiedenen Vorstellungen von Unterricht aufeinander. Es kommt dann auf die Toleranz und Verständnis des Tutors an, ob das Unterrichtskonzept der Referendarin angenommen wird oder nicht. Nur mal so am Rande: Schule geht besser. Referendarinnen könnten dabei wichtige Impulse geben, da sie unvoreingenommen in den Unterrichtsprozess kommen.
Der Spiegel Artikel schließt mit dem Bericht einer Referendarin, die, nachdem sie im regulären Schuldienst durch die Schulleitung und Hospitationslehrer gedemütigt wurde auf eine Privatschule gewechselt ist. Sie hat dabei auf ihre Anerkennung verzichtet und konnte dadurch auch nicht weiter beschäftigt werden. Sie ist dann aus dem Schuldienst mit einem hervorragenden Zeugnis ausgestiegen.
Interessant an diesem Phänomen ist ja auch das dahinter stehende Prinzip, welches auch gleich ein gängiges Klischee bedient. Alte Systeme beruhen auf dem Top-Down-Prinzip. Das Top-Down-Prinzip ist aber resistent gegen Innovationen wie ein Dinosaurier, weshalb es in fortschrittlichen Zusammenhängen, wie z.B. der Luft- und Raumfahrt längst abgelöst ist. Schulen werden ebensowenig evaluiert wie Lehrerinnen. Wer den Film Das Lehrerzimmer gesehen hat versteht auch, wie solche Mechanismen im Hintergrund wirken - und in den Schulalltag von Schülerinnen und Schülern hinein strahlen. Es wäre sowohl der Gesellschaft, allen Lehrerinnen und Lehrern und vor allem allen Schülerinnen und Schülern zu wünschen, dass sich dies schnell ändert. Der Sohn der Ärztin wäre womöglich sehr leicht fürs Lernen zu begeistern gewesen, wenn er die richtigen Pädagogen an seiner Seite gehabt hätte. So hat er mit 24 Jahren immer noch Mühe ins Leben zu kommen. Wir drücken ihm die Daumen.