31. Oktober 2022

Marco Fechner fragt auf Twitter nach validen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Ursache der rückläufigen Schreib- und Lesekompetenz

Die Antwort auf Twitter wäre zu lang geworden. Außerdem könnte ich die Frage nicht beantworten. Aber ein paar Zeilen will ich doch dazu schreiben.

Marco Fechner ist nicht nur Twitteraktivist. Marco Fechner ist unter anderem stellvertretender Vorsitzender des Bezirkselternausschusses Pankow, Vorsitzender der Gesamtelternvertretung eines Pankower Gymnasiums und Mitglied des Landesschulbeirats Berlin, wie er auf seiner eigenen Homepage schreibt.

Und Marco Fechner ist Nonkonformist und ragt damit aus der großen Schar der ElternvertreterInnen heraus, die sich die Missstände im Bildungssystem, an der eigenen Schule und im Allgemeinen lieber nicht so genau ansehen.

Marco Fechner fragt auf Twitter:

Gibt es valide wissenschaftliche Untersuchungen, weshalb die Schreib- und Lesekompetenzen von Schüler:innen im Vergleich zu früheren Jahrgängen so massiv rückläufig sind?

Und jetzt müsst ihr selber lesen.

Denn ich war ja auch kurz geneigt zu schreiben: "Schreib-Lesekompetenz und Mathe sind überbewertet" oder "die Prüfmethoden sind ebensowenig valide" oder "zur Lernforschung gibt es durchaus valide Studien".

Nur: das beantwortet ja die Frage nicht. Die Antwort auf die Frage kann nur lauten: Nein, es gibt solche validen Untersuchtungsergebnisse nicht, weil es sie nicht geben kann. Was ja durch solche Prüfungen geprüft wird, ist ja nur ein winzigkleiner Ausschnitt der Gesamtkompetenz des Kindes. Außerdem suchen sich die Schulämter ganz gezielt Schulen aus, die gute Prüfungsergebnisse erwarten lassen. Vielleicht ist einfach die Auswahl schlechter geworden. Möglicherweise haben andere Kompetenzen zugenommen, diese wurden aber nicht geprüft. Es ist also extrem komplex, hier überhaupt wissenschaftlich valide zu arbeiten. Und Wissenschaft kann eben nur Minidetails valide beantworten. Oder man transzendiert die Wissenschaft, wie es John Hattie getan hat und bezieht Millionen und Abermillionen von Schülern in eine Studie mit ein, um dann quasi über die Unendlichkeit zur trivialen Antwort zu kommen "Teacher matters" - es kommt auf den Lehrer an.

Und - einmal von einer ganz anderen Warte eine Liste von Kompetenzen, die Kinder mehr oder weniger besser können als vor vierzig Jahren: sie können sich in einer komplexeren Welt zurechtfinden, sie müssen sich mit Ängsten wie Klimawandel, Corona und Krieg arrangieren, sie können Skills im Umgang mit Menschen anderer Kulturen erwerben, sie müssen den Umgang abstrakteren Kommunikationsmitteln erlernen, sie sind mit komplexeren Einflüssen durch Medien konfrontiert - um nur einmal eine knappe Auswahl zu nennen.

Ich mache jetzt mal eine valide Studie. Das ist auch ein Grund, weshalb ich hier schreibe und nicht auf Twitter. Ich analysiere mal die Antworten. Ein Großteil der Antworten kommt von Lehrpersonen, also von Personen, die direkt mit dem Thema beschäftigt sind.

"Die Bedingungen, unter denen Kinder lernen, werden immer schlechter. ...", "Die Lehrer bekommen teils viel Gegenwind von Eltern,", "- schlechter werdende Lehr- und Lernbedingungen", "Der kürzlich veröffentlichte IQB-Bildungstrend ist sehr wichtig, kann aber leider durch sein Design keine Kausalzusammenhänge aufdecken...", "Nicht wissenschaftlich, sondern Beobachtung aus 28 Dienstjahren: Zu wenig Übung, zum Teil auch zu wenig durchgehende Korrektur in allen Fächern, ...", "Meine beiden Kinder mussten bis 4. Klasse nie einen Aufsatz schreiben.", "Ein Grund (von vielen) ist die Inklusion und die  heterogenen großen Klassen."

Kein einziger Twitter beantwortet die Frage! Daher kommt meine steile These: weil Lehrerinnen und Lehrer immer weniger Schreib-, Lese- und Mathekompetenz haben. Und im Nachsatz: und nicht die notwendige Sozialkompetenz, um diese zu vermitteln.

Ich behaupte mal, dass vor vierzig Jahren, also vor dem Händi- und Twitterzeitalter sogar Lehrerinnen und Lehrer eher in der Lage waren eine Frage zu verstehen und sinnvoll darauf zu antworten als dies heute der Fall ist. Und es war damals schon schlimm und Rechtschreibung war vor vierzig Jahren schon überbewertet.

Diese These würde meine These des Teufelskreises stützen, wonach schlechtere Bildung zu unfähigereren Lehrpersonen führt, die wiederum eine schlechtere Bildung veranstalten würden, die wiederum zu unfähigeren Lehrpersonen führt usw. - also eine unendliche Abwärtsspirale in Gang wäre.

Ich wage aber eine weitere These: dass der Mensch irgendwann tatsächlich dahin kommt, diese Spirale aufzuhalten oder umzukehren bevor die gesamte Menschheit im Chaos versinkt. Wir brauchen nur den Mut das Kopftuch der Dummheit abzunehmen und frei in die Welt zu schauen. Dann kämen wir zu ähnlichen Antworten wie Andreas Schleicher oder John Hattie. Dann kann uns der ganze Autoritätsquatsch quer den Buckel runter rutschen und Schülerinnen und Schüler könnten endlich wieder mit Begeisterung dasjenige lernen, was sie fürs Leben brauchen.