12. November 2022

Die ZEIT: Gewalt gegen Lehrer und Schulleiter "an der Tagesordnung" - Ergebnisse einer Umfrage

Die publizistische Auswertung der Umfrage steht nicht hinter einer Bezahlschranke.

Das Thema scheint sehr populär, zumindest für die Windmühlen der Populisten. Das Thema ist nicht neu. Und das Thema beschäftigt immer wieder die Gemüter: die Gewalt an Schulen nimmt zu. Angeblich. Und natürlich gleich im Untertitel: die Schulform macht den Unterschied. Überspringen wir den Artikel und schauen in die Kommentarspalte. An dieser Stelle geht ein großer Dank raus an die Redaktion der ZEIT, die diese Kommentarspalte ermöglicht. Solche Kommentarspalten bilden zwar nicht unbedingt die aktuellen intelligenteren Erkenntnisse ab. Sie bilden aber durchaus ein verbreitetes Meinungsbild ab. Wenn man da die Ergüsse der Stammtischbrüder dann so auf sich wirken lässt, wird einem auch einiges klarer. Wahlergebnisse zum Beispiel. Oder allgemeiner Zustand der Gesellschaft.

Wir wollen aber doch etwas ins Detail blicken. "Lehrkräfte und Schulleiter werden immer öfter beleidigt, bedroht und belästigt" - so der Untertitel. Die Umfrage hat der Verband Bildung und Erziehung (VBE) veranstaltet. Nun wissen wir aus eigenen Erkenntnissen und Erlebnisssen: glaube keiner Umfrage, die du nicht selber gefälscht hast. Die Umfrage trägt also auch sehr klar die Handschrift eines Berufsverbandes. Nein, ich unterstelle dem VBE weder böse Absichten noch eine Fälschung. Nur: wäre eine solche Untersuchung von Kinderpsychologen oder von Lernforschern oder von Gewaltforschern durchgeführt worden, lägen auch andere Ergebnisse vor. Auch dies ist mir wichtig: mir geht es keinesfalls darum das Thema zu verharmlosen. Im Gegenteil. Auch ich finde die Situation für Lehrer und Schulleitungen unerträglich, so wie ich sie für Schülerinnen und Schüler unerträglich finde und damit muss sie auch für Eltern unerträglich sein. Genau diese Situation an den Schulen muss uns doch zum Nachdenken bringen und sie muss uns dazu bringen die Situation für alle Beteiligten zu verbessern.

Die Kommentare sagen: wir brauchen mehr Schulpsychologen, die Kinder haben keinen Respekt mehr, die Behörden müssen sich mehr darum kümmern, die Bezahlung von Lehrkräften muss besser sein, die Migration ist schuld, der Frauenanteil bei Lehrkräften ist zu hoch, Lernschwächen, Aufmerksamkeitsdefizite, Erziehungsprobleme usw. Verhalten wird auch nach mehr Autorität durch Lehrkräfte gerufen.

vincentvision weist aber auch darauf hin, dass körperliche Gewalt zurück geht und belegt dies mit einer Statistik.

Gar nicht so selten ist auch, dass Lehrerinnen und Lehrer den Empfehlungen der Schulpsychologen nicht folgen und deren Expertise ganz gezielt boykottieren. Den Kindern hilft es dann wenig, wenn mehr Schulpsychologen eingestellt werden. Den Kindern würde es helfen, wenn Lehrkräfte ihre Methoden anpassen würden und den Empfehlungen von Sozialarbeitern und Psychologen folgen würden.

Es gibt durchaus auch moderatere Töne. Generell ist der Tenor jedoch von einer gewissen Konfrontation geprägt. Lehrer können keine Psychologen sein, Lehrer haben keine Erziehungsaufgabe, den Eltern müssen Grenzen gesetzt werden. Die Gewaltforschung weiß jedoch: Gewalt mit Gegengewalt zu begegnen, ist nicht nur eine gute Idee.

Glücklicherweise geht Schule besser. Das zeigen auch viele Schulen, viele Lehrkräfte, viele Schulleiter und viele Eltern tagtäglich. Was uns durch die Gewaltklage gezeigt wird, ist nur: die Autoritätsschule ist wirklich am Ende. Sie hat ihre Zeit überlebt. Ausgedient. Sie kann auf die Müllkippe. Für immer. Denn ihre Mittel und Methoden versagen. Man muss eigentlich sagen, dass sie schon immer versagt haben. Interessanterweise stehen in den Landesschulverordnungen viele Hinweise, die zu einer besseren Schule führen müssten. Denn die Landesschulverordnungen machen klar: die Kinder sollen in einer Art und Weise gebildet, gelehrt und gefördert werden, dass sie reif sind für eine Teilnahme an der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft und dass sie eine Berufswahl treffen können.

"Verantwortung übernehmen, Wissen neu lernen, Potentiale entfalten, zusammen leben", so Helmut Klemm, Schulleiter der Eichendorfschule in Erlangen, sind die wichtigsten Prinzipien von Schule. Um dies umzusetzen, braucht es ein Miteinander, kein Gegeneinander. Wenn Lehrer gegen Schüler und Schüler gegen Lehrer, Eltern gegen Lehrer und Lehrer gegen Eltern arbeiten, lernen Schülerinnen und Schüler vor allem gegeneinander zu arbeiten. Ist das sinnvoll? Man kann diese Frage guten Gewissens mit Nein beantworten. Nun sagen die Damen und Herren der alten Autoritätsschule beleidigt: aber das geht doch nicht, so ganz ohne Regeln, Wettbewerb ist wichtig und die Kinder wissen nichts und müssen erst in Form gebracht werden. Das ist Schule! Es ist natürlich tragisch, dass das von vielen noch nicht begriffen wird, ändert aber nichts daran, dass es gar keinen anderen Weg gibt. Denn natürlich brauchen Kinder Regeln. Aber sie brauchen keine verordneten Regeln. Kinder suchen Regeln. Und Kinder akzeptieren Regeln. Wenn sie denn sinnvoll sind. Genauer gesagt: wenn sie sie für sinnvoll erachten. Glücklicherweise gibt es Kinder, die Regeln hinterfragen! Wir sollten ihnen dankbar sein.

Es braucht ein starkes Miteinander. Nicht nur in der Schule, sondern auch außerhalb der Schule. Ein starkes Miteinander von Eltern, Schülern und Lehrern. Nur so kann Schule besser werden.

Ihr wollt ein praktisches Beispiel? Bei uns an der Schule verlangen gerade die Lehrer, dass wir mit den Kindern über Regeln sprechen und darüber, dass diese einzuhalten sind. Ich habe dann lange auf der Internetseite der Schule vergeblich nach Regeln gesucht und keine gefunden. Ich habe mich dann vertrauensvoll an das Sekretariat gewandt. Von dort bekam ich die Auskunft: die Regeln werden gerade neu erstellt und sind in der "Erprobung" und können daher nicht herausgegeben werden. Lieber Leser ... Sorry. So habe ich mir Schule nicht vorgestellt. Kinder als Versuchskaninchen. Wir schauen mal, wie weit wir die Repressionen treiben können. Ein Dialog findet nicht statt. Es ist kein Wunder, dass an dieser Schule eine große Not vorherrscht. Sowohl von Kindern als auch von Lehrern.

Nachwort: meine Texte entstehen aus persönlicher Betroffenheit aus der täglichen Erfahrung als Elternteil mit Kindern, Lehrern, Schulleitungen und Schulpsychologen. Meine Schulgeschichten spielen sich gerade in Mecklenburg-Vorpommern im Bereich des Schulamtes Schwerin ab. Mecklenburg-Vorpommern ist ein deutsches Bundesland, welches auf dem Gebiet der früheren DDR liegt. Bei der letzten Landtagswahl wurde die noafd mit 16,7% als zweitstärkste Partei gewählt, gefolgt von der nocdu mit 13,3% und der Linkspartei mit 9,9%.

Anmerkung. In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass die Lehrergewerkschaft hinter der Umfrage steht. Sabine Probst hat mich über Mastodon darauf aufmerksam gemacht, dass der VBE keine Gewerkschaft ist, wie es im ZEIT-Artikel steht, sondern ein Verband. Vielen Dank für den Hinweis!