13. Januar 2022
Ministerinnen setzen auf ihre persönliche Erfahrung - eine Presseschau
Frau Oldenburg (Linke) macht den Schulanfang von 150.000 Schülerinnen und Schülern abhängig von ihren Schlafgewohnheiten, die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) fühlt sich für ihren Job qualifiziert, weil sie einen 19-jährigen Sohn hat und die KMK-Präsidentin Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein und Karin Prien (CDU) ist "auch Mutter eines Schulkindes".
Grundsätzlich ist überhaupt nichts einzuwenden dagegen, dass Volksvertreterinnen und Volksvertreter auch persönliche Einsichten in ihre Arbeit als Volksvertreter einfließen lassen. Das ist menschlich. Niemand ist frei von persönlichen Prägungen und Einflüssen. Was aber nachdenklich macht: in den Berichten tritt doch deutlich hervor, dass die Entscheidungsträger willkürlich nach eigenen Erfahrungen handeln. Das macht nicht nur nachdenklich, das ist bedenklich. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen handelt es sich bei den Personen um privilegierte Menschen, deren Schicksal, Voraussetzungen und Möglichkeiten mitnichten gleichzusetzen ist mit allen anderen von ihren Entscheidungen und Meinungen betroffenen Menschen. Zum anderen ist es immer problematisch, aus einer ganz persönlichen Weltsicht allgemeine Urteile zu fällen. So habe ich auch mit Absicht im ersten Absatz die Parteizugehörigkeit hinzu gesetzt. Frau Prien wird ein eher religiöses Weltbild vertreten, Frau Stark-Watzinger verlangt nicht ohne Grund das Fach Ökonomie an den Schulen. Zufällig handelt es sich bei den drei Personen jetzt gerade um Damen. Die Herren sind aber damit ebenso gemeint. Wenn Frau Oldenburg unseren Kindern gern den Schlaf raubt, spielt ihre Parteizugehörigkeit vielleicht eine untergeordnete Rolle.
Nicht umsonst kommt das Ansehen der politischen Entscheidungsträger in der Bevölkerung recht schlecht weg. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Ministerinnen und Minister die Gesellschaft zum Wohle der Allgemeinheit zu beeinflussen. Das ist mit einer narzistisch orientierten Grundhaltung eher schwierig zu realisieren. Es wäre den Würdenträgerinnen der Gesellschaft zu wünschen, dass sie sich mehr an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren als an der persönlichen Befindlichkeit. Ich vermute aber, dass eine gewisse Ignoranz gegenüber Erkenntnissen der Wissenschaft und der Gesellschaft erst für diese Posten qualifiziert. Denn sie werden sich auch mit Beraterinnen und Beratern umgeben, die ihre Ansichten teilen und unterstützen, sie bestärken und vertreten.
Für Schüler, für Eltern, für Lehrer und für die Gesellschaft ist dieser Zustand eher misslich. Denn es verändert sich an den Schulen tendenziell nichts. Und alle wundern sich weiter, dass die Gesellschaft munter weiter abstürzt. "Jüngere Menschen haben Probleme, die Emotionen anderer wahrzunehmen" - so titelt ze.tt. Diese emotionale Verarmung ist die Folge einer unmenschlichen Schule. Sind Kinder mit der realen Welt ausgefüllt und zufrieden, werden sie in sehr viel geringerem Maße ihre Identität an ein dummes Smartphone deligieren bzw. daraus beziehen. Dieses Instantleben aus Likes und Followern hat massive Folgen für die psychische Gesundheit. Dies belegen entsprechende Studien, zuletzt diese hier (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0261023). Aber braucht es wirklich für jeden Quatsch eine Studie, die dann doch wieder keiner versteht und die in der Müllkippe tausend anderer Studien versinkt? Ist es nicht genug, einmal in einem Nahverkehrszug zu sitzen, in dem sich die Menschen nicht mehr miteinander unterhalten sondern jeder nur auf seinem Gadget herumwischt oder autistisch mit Ohrstöpseln herumsitzt? Ist es nicht alarmierend genug, dass alle apokalyptischen Prophezeiungen der 80er Jahre auf die mediale Zukunft weit übertroffen wurden?
Nun gibt es Studien über das psychische Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie. Die einen sagen: kein Problem, ist ja nicht so wild. Andere sind alarmiert. Klar ist: Schulschließungen und sogenannte Lockdowns verschärfen gesellschaftliche Probleme. Und die gibt es - mit und ohne Pandemie. Die Kosten für die Bewältung psychosomatischer Störungen sind hoch. Das könnte vielleicht Frau Bettina Stark-Watzinger von der FDP interessieren. Sie interessiert sich ja für Ökonomie. Die Störungen, die in der Kindheit angelegt werden, können ein Leben lang bestehen bleiben. Es sind tausende, abertausende Menschen, die entweder einen verminderten oder sehr geringen Beitrag für die Gesellschaft leisten können. Dabei ist genau dies dasjenige, was wiederum für Zufriedenheit sorgt: wenn man etwas für andere tun kann. Hinzu kommen die nicht unerheblichen Behandlungskosten. Wäre dies, liebe Damen, nicht ein Grund einmal näher hinzuschauen? Auf die Ursachen? Und dann, statt Kosmetik und Schadensbegrenzung direkt die Ursachen zu beseitigen? Oder zumindest: es zu versuchen! Nein, wir werden nicht von heute auf morgen in einer heilen Welt landen. Aber wir könnten die Welt ein bisschen - ein kleines bisschen - besser machen.
Quellen (z.T. kostenpflichtig)
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-01/karin-prien-kultusministerkonferenz-praesidentin-schule-corona-bildungspolitik
https://www.zeit.de/2022/03/bettina-stark-watzinger-bildung-forschung
https://www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Grevesmuehlen/Simone-Oldenburg-MVs-Bildungsministerin-ueber-Shopping-Schule-ab-9-und-wohnliche-Bueros
https://www.zeit.de/zett/2022-01/jugendliche-social-media-mediennutzung-angst-stress-psychologie
https://www.spiegel.de/panorama/bildung/digitaler-unterricht-hilft-das-smartphone-beim-lernen-oder-schadet-es-a-478cfdbb-50d5-444d-ba9e-033c29794011
https://www.spiegel.de/gesundheit/coronavirus-was-hinter-der-studie-zu-mehr-suizidversuchen-bei-kindern-und-jugendlichen-im-zweiten-lockdown-steckt-a-60f03d2b-2086-4711-ad60-42a820d4b2cb