10. November 2023

Die Arbeit muss unterschrieben werden!

Heute schreibe ich wieder einmal eine Episode aus dem Elternalltag.

In der Schule wurden Englischarbeiten geschrieben. Ich bin schonmal entsetzt, dass alle Nase lang, gefühlt täglich irgendwelche Tests, Lernstandserhebungen und Klassenarbeiten geschrieben werden - aber das nur nebenbei. Es ist tragisch, dass Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler so wenig kennen, dass der Wissensstand über Tests und Klassenarbeiten erhoben werden muss, die dann mühsam kontrolliert und korrigiert werden müssen. Sehr viel intelligenter wäre hier, die Schülerinnen und Schüler Selbsteinschätzungen machen zu lassen. Das würde auch das knappe Zeitbudget von Lehrkräften entlasten.

Die Arbeiten müssen verbessert werden, was für das eine Kind schonmal zur Frustration führt. Es sollte etwas mit acht Sätzen aufgeschrieben werden. Das Kind hat dann aber mehr als acht Sätze geschrieben. Die Lehrerin hat dann in ihrem Übereifer das mehr geschriebene rot markiert und angemerkt, dass dies nicht zum Thema gehört. Da haue ich mir schonmal mit der flachen Hand gegen die Stirn. Was ist denn das wieder für ein kurioser Adultismus? Es geht aber noch weiter. Das Kind hat versehentlich "I'm" immer klein geschrieben. Die Aufgabe in der Verbesserung lautete nun, dass jeder Satz, in dem ein Fehler angezeichnet war nochmal ganz abgeschrieben werden musste. Also doppeltes Pech für das Kind: es musste seine ganze Arbeit nochmal abschreiben. Wegen eines kleinen Fehlers.

Dies nur als eine Nebenepisode, wie die Klassenarbeitsschreiberei Kinder demütigt, entmutigt und lernmüde macht.

"Du musst die Arbeit noch unterschreiben" - heißt es dann zuhause. OK, Bürokratie muss sein - auch in der Schule und besonders in der Schule! Ich unterschreibe brav. Eigentlich will ich die Arbeit gar nicht sehen. Denn wenn das Kind mir die Arbeit zeigen will, dann wird es mir die Arbeit schon zeigen. Ansonsten ist es in erster Linie seine Privatangelegenheit. Eltern müssen ihre Kinder überhaupt nicht kontrollieren.

Wir wollen, dass die Kinder Verantwortung und Selbstvertrauen entwickeln. Das wollen sie auch. Also das will eigentlich die Natur, dass Kinder für ihr Handeln verantwortlich werden und dadurch Vertrauen zu sich und der Umwelt entwickeln. Das können wir zuverlässig verhindern, wenn wir ihnen nicht vertrauen. Es gibt keinen Grund ihnen nicht zu vertrauen.

Nun hat das andere Kind seine Klassenarbeit in seinem Zettelwust und findet sie nicht. Als die Unterschriften kontrolliert werden, sagt das Kind der Lehrerin, dass sie mich gerne anrufen darf wenn es Unklarheiten gibt. Das erbost die Lehrerin natürlich, denn das ist sie nicht gewohnt. Abends ist das Kind dann halbwegs verzweifelt auf der Suche nach der Klassenarbeit. Es macht einen Riesenhaufen mit nicht mehr gebrauchten zerknüllten Blättern aus der Schule. Es ist in der Tat erschreckend, was für ein Papierberg da fabriziert wird. Wir schreiben Anfang November. Es waren gerade einmal acht Wochen Schule seit dem Schuljahresbeginn. Wir sind alle beeindruckt. Nebenbei bemerkt es, dass es sehr viel einfacher und sinnvoller ist nur einen Hefter für alle Fächer zu haben. Somit kommt es nicht vor, dass es den jeweiligen Hefter nicht dabei hat und dafür eine sechs eingetragen bekommt.

Ich bin der Ansicht, dass das Kind durchaus auch Ordnung selbst lernen kann. Es muss nicht einem irrsinnigen adultistischen Ordnungswahn gehorchen. Ja, es darf auch in seinem Chaos versinken. Es ist meiner Ansicht nach nicht schlimm, wenn das Kind seine Englischarbeit nicht mehr findet. Noch mehr: es gibt überhaupt keinen Grund alte Arbeitsblätter oder Arbeiten aufzuheben. Die Blätter werden nie wieder gebraucht. Das hat das Kind bereits erkannt. Deswegen wäre es kontraproduktiv, dies vom Kind abzuverlangen. Das gefällt autoritären Lehrkräften natürlich gar nicht. Ein "was sagt denn deine Mutti dazu" hilft da auch nicht. Und ich? Zugegeben, ich sitze zwischen den Stühlen. Ich stehe aber zu einhundert Prozent hinter dem Kind. Ich stärke ihm den Rücken wo es geht. Es muss diesen Spagat zwischen Irrsinn und erträglicher mentaler Belastung durch den adultistischen Zwang der Lehrerin aushalten. Im Grunde genommen ist dies das einzige, was es in der Schule lernen kann.

Nun - zurück zur Englischarbeit. Es wird später Abend, die Arbeit wird nicht gefunden. Andere Eltern mögen nun Welle machen und neben dem Kind stehen und in vorwurfsvollem Ton sagen: "das kann doch nicht sein, dass die Arbeit weg ist! Du suchst jetzt so lange, bis die Arbeit da ist!" Dabei werden sie ihre ganze Macht in ihre Stimme legen. Und vielleicht mit Händiverbot drohen. Ich finde solches Verhalten von Eltern ziemlich albern. Denn es führt genau zu nichts, außer zur Verweigerung der Zusammenarbeit. Dennoch bin ich natürlich gefordert eine Lösung zu finden. Ich sage also: "Macht nichts, kann passieren. Ich schreibe Dir ein paar Zeilen für die Lehrerin. Wie heißt denn die gute Frau? Kann ich ihr auch eine E-Mail schicken?". Die Frau heißt Frau Schulze (sie heißt eigentlich anders, alle Namen hier sind verändert). Eine E-Mail Adresse habe ich leider nicht, eine Lehrerliste gibt es nicht.

Ich schreibe also handschriftlich (sinngemäß):

Liebe Frau Schulze,

das Kind hat bis in den späten Abend vergebens nach seiner Arbeit gesucht. Sie konnte aber nicht aufgefunden werden. Ich bitte dies zu entschuldigen. Ich vertraue dem Kind, dass es seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben hat. Ich vertraue auch Ihnen, dass Sie die Arbeit korrekt bewertet haben, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin. Es ist deswegen nicht so schlimm, dass die Arbeit nicht mehr da ist.

Bei Unklarheiten oder Fragen wenden Sie sich gerne an mich unter Tel. 0123456789.

Mit freundlichem Gruß

Ich unterschreibe ein paar andere Arbeiten. Unter anderem eine Arbeit aus dem Technikunterricht, bei der die Kinder aus einer verwaschenen Kopie mit einer kaum erkennbaren 3D-Ansicht die drei zugehörigen 2D Ansichten zeichnen sollten. Ich bin wieder einmal etwas ernüchtert, dass den Kindern lieblose und verwaschene Kopien vorgesetzt werden, sie aber tadellose Zeichnungen abliefern sollen. Schule als Vorbild? Das ginge durchaus besser.

Am nächsten Morgen kommt das Kind: ich habe die Arbeit doch noch gefunden. Und fragt, ob ich in einer Kinderschrift unterschreiben könnte. Ich tue ihm den Gefallen. Auf der Rückseite möchte ich doch noch bitte richtig unterschreiben. Ich tue ihm den Gefallen.

Wie ginge das besser? Da wir als Eltern eh zum Schuljahresbeginn eine ganze Beuge Unterschriften abliefern müssen. Ob das Kind nun fotografiert werden darf, am Religionsunterricht teilnehmen darf, zum Essen angemeldet wird, das Schulgelände alleine verlassen darf usw., da käme es auf eine Unterschrift doch nicht mehr an. Ich würde liebend gerne unterschreiben: ich vertraue meinem Kind. Was spricht dagegen Kindern zu vertrauen? Diesen Unterschriftenbürokratismus hat doch der Teufel gesehen. Noch einfacher ginge es natürlich digital. Wenn die Arbeit korrigiert ist, macht Frau Schulze ein Foto davon und stellt es irgendwo ein, wo es die Eltern anschauen können - oder eben auch nicht. Aber ... wo kämen wir denn hin, wenn wir die ausgetretenen, kaputten und falschen Wege verlassen und etwas Vernünftiges täten? Nein, statt dessen machen wir mit Drohung, Bürokratie und Misstrauen die Kinder verrückt. Vermutlich verfolgt Frau Schulze nur irgendeine bekloppte Anordnung des Schulamtes. Und wenn nun Frau Schulze einfach mal ein Auge zudrücken würde und etwas Vernünftiges tun würde? Um Gottes Willen! Wo kämen wir hin ...

Dem Kind dürfen wir dankbar sein, dass es tatsächlich versucht eigene und sinnvolle Wege zu finden. Daher werde ich weiter machen ihm den Rücken zu stärken. Auch wenn ich nachts noch handschriftliche Briefe an Lehrerinnen verfassen muss, die am Ende des folgenden Tages dann doch nicht gebraucht werden. Auch wenn ich dem Wahnsinn der Welt dabei ins Auge sehen muss. Es bleibt mir nichts anderes übrig.

Ein kleiner Nachtrag

Frau Schulze kontrollierte natürlich die Unterschriften. Beim Kind mit der Kinderunterschrift erlaubte sie sich dann die Bemerkung, dass seine Schrift ja auch sehr schlecht ist und es deswegen auch schlechte Zensuren bekommt. Es sei aber kein Wunder, dass die Schrift des Kindes so schlecht ist wenn der Vater so eine schlechte Schrift hat. Ich kann mit der linken Hand nicht so gut schreiben.