5. Mai 2023
Der falsche Weg: Warum Smartphoneverbote keine Wirkung haben
Immer wieder melden sich sogenannte Experten zu Wort, die für Smartphoneverbote werben. Heute zum Beispiel in der Ostsee-Zeitung oder in der Kreiszeitung. Das klingt alles vollkommen durchdacht und vor allem kompetent. Eine Schulleiterin wird als Pädagogin sicher wissen, welche Gefahren vom Smartphone ausgehen und vor allem, wie man damit umgeht.
Was die Experten aber übersehen: der Teufel ist bereits aus der Flasche heraus gekommen. Er lässt sich auch nicht mehr einfangen. Er ist mit der Erfindung der Flasche in die Welt gekommen und versucht diese Welt zu beherrschen. Da ist auch der Ruf nach Verboten sehr verlockend. Doch, wie so oft bei Rufen nach Verboten: sie sind quasi wirkungslos. Das können wir gut am Alkohol- oder Zigarettenkonsum sehen. Verbote können den Konsum möglicherweise einschränken. Gesichert ist dies jedoch nicht. Gesichert ist: wenn wir Kinder vor Missbrauch quasi immunisieren, brauchen wir keine Verbote und wir können Missbrauch zuverlässig verhindern.
Also nicht die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen bekämpfen. Das wäre wirkungsvoll. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: wie geht das?
Zugegeben, die geschilderten Fallbeispiele sind erschreckend und ich will sie hier gar nicht wiederholen. Aber schauen wir doch mal rein in eine solche Klasse oder Kindergruppe. Da sehen wir doch, dass einige Kinder anfälliger sind für verstörende Inhalte und andere sind es nicht. Und dies bei gleichen rechtlichen Umständen. Es muss also weitere Unterschiede zwischen den Kindern geben. Und da frage ich mich: warum schauen die Experten nicht dorthin? Ich bin weder Experte noch Schulleiter. Aber ich beobachte natürlich auch, dass das Verhalten von Kindern und Jugendlichen sehr unterschiedlich ist. Einige rufen Naziparolen, andere nicht. Einige finden es cool fürchterliche Videos zu teilen, andere nicht. Versteht ihr was ich meine?
Medienkompetenz wird nicht durch Verbote erworben. Ähnlich wie der Sprachkompetenz nicht dadurch erworben wird, dass wir weder gesprochene Sprache hören noch selbst sprechen dürfen. Da gehen wir jetzt Kompetenz für Kompetenz durch und finden jeweils immer das gleiche Muster: wenn wir in einer Disziplin die Möglichkeit haben uns umfassend Kenntnisse zu erwerben, nicht durch Frontalunterricht und benotete Prüfungen, sondern durch Versuch und Irrtum, dann erwerben wir uns Kompetenz. Und genau diese wird gebraucht. Denn was macht es schon für einen Unterschied, ob jetzt 12jährige oder 14jährige Kinder versuchen, was denn alles so schlimmes auf dem Smartphone erscheinen kann. Sie suchen den Kick! Den ultimativen Kick des Verbotenen.
Wir verlieren unsere Kinder nicht an das Smartphone wegen des Smartphones, sondern weil wir sie vernachlässigen. Weil vielen Eltern die Bedürfnisse der Kinder egal sind, wenden sich die Kinder dem Smartphone zu. Weil viele Kinder ihre Bedürfnisse nicht leben dürfen, stumpfen sie ab und verweigern die gesellschaftliche Teilhabe. Wir verlieren unsere Kinder, weil wir immer glauben, dass wir es besser wissen und unseren Adultismus an ihnen ausleben müssen. Weil schon unsere Eltern ihren Adultismus an uns ausgelebt haben. Wir verlieren unsere Kinder, weil die meisten Schulen zu reinen Zeugnisproduzieranstalten verkommen sind. Eltern wie Lehrer/mwd sind der Ansicht: die Kinder müssen vor allem Deutsch, Mathe, Geschichte, Physik, Sport, Kunst, Musik und alle Schulfächer besonders gut lernen. Für ihre berufliche Zukunft. Die Wesen, ihre Fähigkeiten, ihre Wünsche, ihre Möglichkeiten sind dabei egal. Sie müssen. Das kann man als den großen Fehler ansehen.
Ja, da sind die Elternhäuser auch gefordert. Wirklich. Das meine ich ernst. Aber das sind Elternhäuser ja sowieso. Weshalb wird man denn Eltern? Um Kinder zu "besitzen" und zu "verwalten"? Sie dazu zu ermahnen, dass sie auch ihre Hausaufgaben machen? Nein! Auch hier muss ein Paradigmenwechsel her liebe Experten. Wir werden Eltern, weil wir es uns zutrauen Verantwortung zu übernehmen und Verantwortung zu tragen, damit ganz ganz kleine Kinder zu kleinen Kindern werden, diese zu Kindern und schließlich zu Jugendlichen. Das ist doch unsere Aufgabe. Wenn wir dann aber durch Rufe nach Verboten verunsichert werden und in die Pflicht genommen werden unseren Kindern das Smartphone zu verbieten, dann läuft etwas schief. Wenn wir von den Expertinnen/mwd ein schlechtes Gewissen eingeredet bekommen, weil unsere Kinder am Smartphone daddeln, müssen wir uns ernsthaft Gedanken um die Experten machen. Offenbar verkauft sich der Ruf nach Verboten gut.
Daher nochmal: Schule geht besser! Schule kann auch den Eltern aktuelle Erkenntnisse mit auf den Weg geben, wie sie ihre Kinder unterstützen und fördern, wie es gelingt, dass Kinder sich auch Erwachsenen anvertrauen, wenn sie Zweifel haben. Wie Kinder mentale Stärke erwerben und wie sie medienkompetent werden.
Zum Schluss noch ein privater Anhang.
Als meine Kinder noch klein waren, da habe ich mir schon viele Sorgen gemacht. Wie wird das mal sein, wenn sie ins Händialter kommen! Wie werde ich damit umgehen! Wie kann ich sie schützen! Wie werden sie den Umgang mit dem Internet lernen! Und all sowas. Und nein, sie haben keine Babyapps auf dem Smartphone bekommen. Ich sag's mal so: das ist ungefähr das dümmste was man machen kann. Sie wurden auch nicht mit Kinderspielen auf dem Tablettcomputer bespaßt. Auch das halte ich für dumm, denn dabei wird nichts gelernt. Sie durften irgendwann Brio spielen, auf einer langen Autofahrt. Sie haben mit fünf Jahren einen Computer bekommen und eine von der Schule empfohlene Lernsoftware. Wir haben gemeinsam YT Videos zu verschiedenen Themen ausgesucht und gemeinsam angeschaut. Sendung mit der Maus. Müllabfuhr. Bagger. Auch lustige Sachen. Mit 8 Jahren haben sie Minecraft bekommen. Am Computer. Nicht am Tablett. In der 5. Klasse haben sie ein Händi bekommen. Unter anderem, weil alle anderen auch ein Händi hatten. Es gibt aber nur 1GB Daten pro Monat, danach wird es langsam. Was wird mit den Händis gemacht? Es wird zum Beispiel Pokemon Go gespielt. Whatsapp natürlich. Ja ... Datenschutz. Es rollt mir auch die Fußnägel auf. Aber an der Stelle muss ich sagen: die soziale Teilhabe und die Möglichkeit, dass die Kinder dieses Werkzeug zur Verfügung haben, ist mir wichtiger. Ob sie nun gefährliche Sachen machen? Ich sag's ehrlich: ich weiß es nicht. Ich muss mit dieser Gefahr umgehen, genauso, wie ich mit der Gefahr umgehen muss, dass sie auf der Straße überfahren werden. Nein, das ist nicht schön! Ich wünsche mir auch eine andere Welt. Eine Welt, in der weniger Persönlichkeit mit dem Smartphone identifiziert wird. Ja, es gibt Menschen, die können ohne Smartphone nicht leben! Ich wünsche mir eine Welt, in der sich die Menschen im Zug lebendig unterhalten statt auf ihr Smartphone zu glotzen und autistisch da zu sitzen. So liegt mein Smartphone die meiste Zeit ausgeschaltet zuhause. Aber ich bin ein Exot. Ich brauche kein Smartphoneverbot, weil ich das Ding totdoof finde. Wirklich. Seltener ein blöderes Ding gehabt als ein Smartphone. Also ... die Kinder werden einen Umgang damit lernen müssen. Je früher sie das lernen, desto besser. - Das war es noch, was ich euch berichten wollte.