9. Mai 2023

Brandenburg - was ist da los?

Es sind sehr unschöne Nachrichten, die uns derzeit aus Brandenburg erreichen.

Ein Brandbrief, anonym von Lehrern verfasst, spült plötzlich ein Thema in die Presselandschaft, welches doch schon länger schwelt. An einer Oberschule in Burg (Spree-Neiße) nahmen die rechtsextremen Vorfälle offenbar so überhand, dass sich die Lehrer entschlossen das Thema öffentlich zu machen. Hier z.B. im Tagesspiegel.

Es ist einigermaßen verstörend, was man von außen da erfährt. Einerseits. Andererseits erklären Rechtsextremismus Experten, nicht überrascht zu sein.

Und nun?

Das Thema spült sich nun hinein in Talkshows. Die Kommentarspalten sind wieder einmal sehr klar gefüllt von Rufen nach Verboten und deutlichen Strafen. Und Fingerzeigen gen Osten. Leider. Und Rufen nach mehr Schulpsychologinnen und Schulsozialarbeiter.

Nähmen wir das Thema ernst. Was hätten wir für gigantische Möglichkeiten? Sähen wir die Effekte als Spitze eines Eisbergs, würden wir uns die Ursachen anschauen, die zur Eisbergbildung beitragen ... Versteht ihr mich? Schule geht besser! Schule könnte tatsächlich, wie es eigentlich auch ihre Aufgabe ist, gesellschaftsbildend wirken. Gesellschaftsbildend - da steckt das Wort bilden drin. Das ist natürlich großer Mist, wenn das Fass schon übergelaufen ist. Sozialpädagogen wissen: je früher wir ansetzen, desto mehr Chancen haben wir, Fehlentwicklungen zu beeinflussen. Jaja, ich höre und sehe jetzt betroffene Lehrer und Schulleiterinnen, die sagen: es ist unmöglich! Wir sind personell überlastet!

Ja! Wir müssen auch diese Überlastung ernst nehmen. So wie das System gerade aufgestellt ist, geht das natürlich nicht. Auch mehr Schulsozialarbeiter und Schulpsychologinnen werden die Misere nicht gerade richten.

Es gibt Schulen, an denen gibt es diese Phänomene und Probleme verstärkt, es gibt Schulen, an denen gibt es diese Effekte weniger. Die größe dieser Effekte ist unabhängig vom sozialen Status der Schülerinnen und Schüler. Es gibt offenbar Schulen, die frühzeitig gegensteuern - trotz knapper Personaldecke.

Nicht weniger verstörend ist der Bericht über den Verlauf eines Ferienlagers einer Berliner Schule in Brandenburg. Der Aufenthalt wurde abgebrochen, nachdem Schülerinnen und Schüler beleidigt wurden. Die Zeit berichtet. Auch wenn ich kein Pädagogikstudium besitze und kein politisches Mandat bekleide, so erlaube ich mir doch eine qualifizierte Meinung dazu: wenn hier nicht bald und konsequent und mit einer gewissen Radikalität gegengesteuert wird, sehe ich düster in die Zukunft. Wurde nicht gelernt aus der Vergangenheit? Gibt es keine validen Forschungsergebnisse zu diesem Thema? Doch! Es liegt alles auf der Hand. Es müsste nur umgesetzt werden. Doch wieder einmal ist keiner zuständig. Die Schulleitungen? Die Lehrer? Die Eltern? Die Schulbehörden? Die Kultusbehörden der Länder? Die Innenministerien? Die örtliche Polizei? Die Politik in Berlin?

Anstatt in Nichtzuständigkeit zu verharren, müssten alle eine Kehrtwende machen. So einfach ist das. Ab sofort: Null Toleranz, dafür 100% Unterstützung und Aufmerksamkeit. Betroffene dürfen nicht kriminalisiert sondern therapiert werden. Nur, wer sich komplett verweigert, wird für eine gewisse Zeit von der Gesellschaft ausgeschlossen, aber dennoch weiter betreut. Der Zeigefinger in Richtung Osten ist sinnlos. Denn das Problem besteht auch im Westen. Es ist marginal und punktuell geringer. Das ist aber keine Ausrede.

Nun ist der Korken aus der Flasche und das Thema in der Presse. Am 10. Mai erscheint ein Interview mit der Opferberaterin Anne Brügmann im Spiegel. Wir müssen dankbar sein, dass es Menschen wie Anne Brügmann gibt, die die Szene im Blick hat, Opfer berät, Interviews gibt und - man muss es so sagen - gegen Windmühlen kämpft. Sie sagt aber auch: solche Taten lassen sich nicht verhindern. Und das stimmt doch sehr nachdenklich. Zu ihrer Entlastung muss man bedenken: Frau Brügmann ist Opferberaterin, das heißt, sie lebt auch davon, dass es solche Taten gibt. Unser Ziel, und da bin ich sicher, dass Frau Brügmann mit mir übereinstimmt, muss aber sein, dass es gar keine solche Taten gibt. Frau Brügmann berichtet wirklich aus ganz konkreter und profunder Kenntnis. Und was sie schildert, macht mich traurig, wütend und betroffen. Denn es sind genug Mittel und Wege da, diesem Treiben frühzeitig Einhalt zu gebieten. Doch auch in Behörden und in Gerichten wird lieber Dienst so halb nach Vorschrift gemacht. Das ist wiederlich und ekelhaft.