2. Januar 2024

Wir brauchen mehr Fremdsprachenunterricht

Allen Leserinnen und Lesern und allen, die es noch werden wollen, wünsche ich ein gutes neues Jahr 2024! Bleiben wir einfach zuversichtlich dran am Thema Bildung! Volle Kraft! Dann wird das schon. Mein Jahresmotto - ihr ahnt es schon - heißt: Zuversicht.

Los geht es mit einem Post in Mastodon:

Zur aktuellen Diskussion um den Fremdsprachenunterricht in der Schule: Ich meine, wir brauchen mehr davon.

Schreibt die Spanischlehrerin Birgit Deppermann. Sie schreibt einen eigenen Blog und bezieht sich auf ihren Artikel Warum wir in der Schule mehr und nicht weniger Fremdsprachenunterricht brauchen

Die Antworten lassen nicht lang auf sich warten:

Wir brauchen mehr MINT Fächer, wir brauchen mehr Ethik, wir brauchen mehr Kunst , wir brauchen mehr Fremdsprachen, wir brauchen mehr Sport. Dann haben die Kinder bald eine 80h Schulwoche...

Antwortet Prof. Dr. Trepurine

Oder stephie schreibt:

Wenn ich an meine Schulzeit denke, und wie damals der Unterricht in Fremdsprachen aufgebaut war, dann hätte ich die Vorstellung von noch mehr Sprachunterricht so ziemlich gehasst, denn der den ich hatte hat mir ziemlich nachhaltig die Freude am Sprachen lernen verdorben. Jeder Test, jede Klausur hat mir vor allem Angst gemacht 
Von daher - bräuchte es eher besseren Unterricht in Fremdsprachen.

Also gleich am Anfang des Jahres das ganze Schuldilemma kompakt in drei Mastodon Posts?

Ja. Im Prinzip ja. Denn alle haben recht. So ein bisschen jedenfalls. Und alle liegen auch falsch. Ein bisschen jedenfalls. Je nach Perspektive mehr oder weniger.

Frau Deppermann schreibt aus ihrer Perspektive vollkommen korrekt: die Fähigkeit eine Sprache zu beherrschen erweitert die Möglichkeiten und den Horizont im Leben stark. Sie schreibt aber auch: "Handlungswissen ohne eine Anwendungsmoment ist nicht nützlich. Es ist daher zum Glück auch höchstens zu einem äußerst geringen Teil Aufgabe der Schule."  - Und da wird es schwierig. Denn Kinder haben eine gesunde und intrinsische Fähigkeit zu erkennen, was in einer jeweiligen Lebensphase ein wichtiges Handlungswissen oder Anwendungsmoment ist. Und dieser Fähigkeit sollten wir gerade in der wichtigen Prägungsphase mehr Raum einräumen. Repsektive wir können ihnen solche Räume schaffen - wenn wir es denn für sinnvoll erachten. Nur so nebenbei: Noten taugen explizit nicht als Anwendungsmoment. Durch die adultistische Bestimmung durch Erwachsene, was Kinder nun zu lernen haben und auch nicht zu lernen haben, töten wir ihre natürliche Neugier und wandeln sie zu Resignation oder auffälligem Verhalten. Auch die Anlagen zu späteren Depressionen sind durch Studien belegt.

Wenn etwas mit Begeisterung und eigener Motivation gelernt wird, so lernt man ungefähr zehnmal so schnell, wie wenn man per Zwang, Druck und Stress lernt. Maren Urner und andere forschen zu diesem Phänomen. Mit etwas Aufmerksamkeit und Reflektion kann das quasi jeder und jede auch an sich selbst ausprobieren und beobachten. Dieses Phänomen gilt für alle Fächer und alle Lerninhalte und für alle Altersstufen. Inwieweit Lehrkräfte in der Lage sind diese Begeisterung auch zu wecken, hängt von jeder einzelnen Lehrkraft ab. Das geht übrigens auch sehr klar aus der Hattie Studie und auch aus seinen Ausführungen zur Studie hervor. Der größte Faktor des Lernerfolges ist immer noch die Lehrkraft. Es wird dies aber immer noch viel zu wenig beachtet. Nur in Hamburg werden auch Lehrkräfte regelmäßig evaluiert.

So weit ich es einschätzen kann, lägen wir bei einer wissenschaftlichen Auswertung der Effizienz von Fremdsprachenunterricht so etwa bei 2% bis maximal 5%. Wenn ein Kind in ein anderssprachiges Land zieht und dort mit Kindern in regelmäßigem und ständigem Kontakt in der anderen Sprache ist, so kann es die Sprache nach einem Jahr verstehen und sprechen. Nach vier bis fünf Jahren wird es die Sprache fast perfekt beherrschen. Und das quasi nebenbei. Ohne büffeln, ohne Grammatik pauken, ohne Notendruck. Wenn ein Kind acht Jahre Fremdsprachenunterricht an einer Schule in Deutschland hat, so kann dieses Kind die Sprache eher leidlich. Und in den meisten Fällen wird es ein Sprachentrauma davon tragen. Das schreibt stephie sehr klar.

Es geht aber auch anders. Und das wäre nicht einmal schwer dies anders einfach auch umzusetzen. Es ginge auch an deutschen Schulen. Es ginge auch mit den jetzigen Schulverordnungen.

Wie wir aus der Hirnforschung und der empirischen Erfahrung wissen, setzt der Hirnturbo ein mit Neugier und Begeisterung. Jetzt sagen viele Lehrkräfte: die Schülerinnen heutzutage lassen sich nicht mehr für Sprachen begeistern. Und diese Annahme ist falsch.

Lehrkräfte werden sagen: wenn wir die Kinder die Sprache lebendig lernen lassen, dann lernen sie auch Fehler und das darf nicht sein. Da stellt sich natürlich gleich die Frage, wer nun bestimmt, was sein darf und was nicht und ich will der Lehrkräftemeinung zumindest ein paar Argumente hinzufügen. Fehlerkultur ist eines der unterbewerteten Skills. Und Fehlerkultur ist wichtig! Wir alle haben beim Erwerb der Muttersprache Fehler gemacht. Und diese Fehler sind meistens lustig. Aber das nur nebenbei. Und: nicht jedes Kind muss mit einem schwarzen Dan in vier Sprachen die Schule verlassen. Es ist doch schon viel gewonnen, wenn das schwächste Kind die Sprache rudimentär kann und das Interesse an der Sprache nicht verloren hat. Anders ausgedrückt: es wäre mehr gewonnen, wenn die Skills der schwächsten Kinder in den Schulen mehr berücksichtigt werden, als dass die stärksten Kinder noch mehr angetrieben werden.

Mir sind Jugendliche bekannt, die außerhalb von Schule mit Begeisterung englisch lernen. Die sich in der 4. Klasse selber englisch beibringen, nur um in Chats und Diskussionen mit zu machen. Sie haben dann in englisch eine vier. Sie interessieren sich nämlich nicht dafür, welche Grammatikregeln gerade in der Klassenarbeit dran sind. Und da muss man den Kindern und Jugendlichen einmal mehr eine große Klugheit attestieren.

Kinder und Jugendliche sind von Natur aus lernwillig und neugierig. Diese Neugier und Lernfreude können wir durch wertschätzenden Umgang miteinander, der Abschaffung von Topdown Strukturen, ausreichend Zeit und Raum für soziale Interaktionen und Abschaffung von Selektionsdruck fördern. Es gibt keine Landesschulverordnung, die genau dies verbietet. Im Gegenteil. Im Grunde lassen sich die Schulverordnungen auch modern auslegen. Es gibt Schulen, die genau dies tun. Und genau jene Schulen schaffen es eben auch, Schüler, die in anderen Schulen als fürs Abitur ungeeignet eingestuft werden zum Abitur zu bringen, wobei im gleichen Atemzug auch gesagt werden muss, dass das Abitur nicht die Krönung eines Lebenslaufes ist und hierfür auch nicht erforderlich ist.

Dann kommen wir schnell zu den Zukunftsfächern: fachübergreifendes Lernen. Geschichtsunterricht auf spanisch und vor allem viel selbstorganisiertes Lernen und Gruppenarbeit.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Frau Deppermann ihre Schülerinnen mit ihrer Begeisterung für Sprachen ansteckt.

Schule geht besser. Wirklich! Auch 2024.