7. September 2022

Plädoyer für eine humanere Schule - welche Aufgaben die Zukunft stellt

Die Frage wird ja oft genug gestellt: weshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Schule. Oder: brauchen wir einen Paradigmenwechseln in der Schule. Und vor allem: in welche Richtung soll der Paradigmenwechsel gehen.

Leben wir doch in Zeiten zunehmender Ressoucenverknappung, dem Klimawandel, drohender Wohlstandsverlust usw. Muss es da nicht darum gehen, dass alle Schülerinnen und Schüler vor allem gute Noten haben und Höchstleistungen in den Hauptfächern erbringen? Möglichst viele Abiturienten die Schule verlassen und alle zu Führungskräften werden? Zugegeben, diese Theorie ist überspitzt.

Mir ist gerade dieses lesenswerte Interview mit Meredith Whittacker aus der c't aufgefallen. Kurz gefasst: Meredith Whittacker hat dreizehn Jahre für Google gearbeitet und ist in dieser Zeit eine Expertin für Big Data und Einsatz von KI geworden. KI ist ja in aller Munde und gilt als die große Hoffnung zur Lösung aller Menschheitsprobleme. Meredith Whittacker beschreibt in dem Interview sehr verständlich, dass diese Technologie auch ihre Kehrseiten hat. Und sie beschreibt sehr gut, was dazu notwendig ist, bzw. notwendig wäre, damit diese Technologie tatsächlich mehr Segen als Schaden unter die Menschheit bringt.

Es gibt bislang definitiv keine gesicherte These, dass uns der Fortschritt in Form von Waschmaschine & Co. tatsächlich weiter gebracht hätte. Im Gegenteil. Durch die Dauernutzung des Automobils werden Menschen adipöser und unbeweglicher, auch im Gehirn. Klimaanlagen verbreiten Krankheiten und denaturierte Lebensmittel lassen Allergien blühen. Für jede Errungenschaft gilt es einen hohen Preis zu zahlen. Natürlich will niemand die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit einer Zentralheizung und einer Flugreise missen. Zumindest nicht, wer selbst einmal erlebt hat, wie schnell sich eine Tonne Getreide mit einem Mähdrescher ernten lässt im Gegensatz zu einer Ernte von Hand. Die Forderung nach einer ökologischen Landwirtschaft ist schnell gestellt - sofern man sie nicht mit dem eigenen Körper umsetzen muss. Also jede technische Entwicklung fördert auch die doppelte Moral: sollen die anderen doch für den Klimaschutz und die heile Welt buckeln, Hauptsache ich kann es mir leisten.

Nun scheint durch einen Platimir Wutin die Zeit gekommen, wo die scheinbar grenzenlos verfügbare billige Fossile Energie nicht mehr ganz so grenzenlos ist. Da beginnt der Verteilungskampf. Zum Beispiel mit Entlastungspaketen - die zum Schluss auch irgendjemand bezahlen muss, schließlich fällt so ein Entlastungspaket auch nicht einfach vom Himmel. "Die sollen dies und jenes machen ..." - hört man nun allenthalben. Doch auch hier: diejenigen, die da am Schalthebel der Macht sitzen haben auch nur begrenzten Einfluss auf den Weltenlauf.

Einen Einfluss auf den Weltenlauf dagegen hat ein Paradigmenwechsel an den Schulen. Dieser muss ganz klar die Zukunft der Menschheit im Blick haben. Die Zukunft der Menschheit ist allerdings nicht, dass alle Menschen Führungskräfte, Künstler oder Wissenschaftler sind. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der alle Menschen Platz haben und miteinander einen wertschätzenden Umgang pflegen. Das geht nur, indem wir weniger Ausgrenzung (z.B. nach Leistung) haben, indem wir mehr Integration, auch von jungen, alten, hoch- und tiefbegabten Menschen aller Kulturen leben. Nur wer wirklicher Bestandteil einer Gesellschaft ist, wird sich im Zweifelsfalle ethisch, sozial und human verhalten, zum Beispiel wenn es um die Verteilung knapper Ressourcen geht. Dies betrifft Chefetagen, Konzernlenker, Politiker auf der einen Seite. Es betrifft aber ebenso bedürftige Menschen aller Art.

Dies ist keine Utopie. Wer in der Schule missachtet, gemobbt, verhöhnt und ausgegrenzt wird, wird eher einer inhumanen Weltsicht zugeneigt sein. Wer dagegen einen wertschätzenden Umgang im Elternhaus und Schule erlebt hat, wird auch weniger anfällig für abenteuerliches Gedankengut, von welcher Couleur auch immer.