4. September 2022
Prügel an Schulen - Vergangenheit oder Zukunft?
In Deutschland sind alle Körperstrafen in der Kindererziehung seit dem Jahr 2000 aufgrund des Gesetzes zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung verboten, in Schweden seit 1979 (als erstem Land der Welt) und in Finnland seit 1984 (als zweitem Land der Welt; 1979 wurde schon das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft). In finnischen Schulen ist die Körperstrafe schon seit 1914 verboten. Dies habe ich gerade aus der Wikipedia kopiert.
Nach 21 Jahren wird die Prügelstrafe im US-Staat Missouri wieder erlaubt - mit Einverständnis der Eltern. In zwei Fünftel der US-amerikanischen Bundesstaaten ist die Prügelstrafe erlaubt. Interessanterweise hauptsächlich in Bundesstaaten, in denen die Trumpwähler überwiegen.
Ich möchte mal provokant fragen: wohin geht der Trend in Deutschland? Laut Statista liegt Deutschland beim Kindeswohl im Ländervergleich nicht auf den vordersten Rängen. In der Rangliste der OECD-Staaten nach ausgewählten Kriterien des Kindeswohls im Jahr 2020 belegt Deutschland den 14. Platz. Beim mentalen Wohlbefinden ist es der 16. Platz, die physische Gesundheit rangiert auf Platz 10, die sozialen und schulischen Fähigkeiten landen auf dem 21. Platz. Hier ist erstaunlich, dass gerade "soziale und schulische" Fähigkeiten das Ergebnis Deutschlands nach unten drücken. Die Musterländer Schweden, Finnland und Niederlande stehen natürlich weiter oben.
Die UN-Kinderrechtskonvention ist in ihrer Aussage sehr eindeutig:
Artikel 29: Bildungsziele; Bildungseinrichtungen
(1) Die Vertragsstaaten stimmen darin überein, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss,
a) die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen;
...
Wobei es hier möglicherweise doch noch einer Ergänzung bedarf. Auch in Deutschland hat sich die Erkenntnis noch nicht so ganz durchgesetzt, wie denn die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zu Entfaltung zu bringen sind. Es gibt tatsächlich noch einen nicht unerheblichen Teil in der Gesellschaft, der der Ansicht ist, dass ein "gewisses Maß" an Strafe (auch körperlich!) der Entwicklung des Kindes dienlich ist. Auch hier wieder: je politisch bzw. religiös rechter bzw. extremer die Gesinnung, desto ausgeprägter ist die Gewaltbereitschaft (körperlich und psychisch) gegen Kinder. Moderaten Gewaltbefürwortern, wie sie auch häufig in Klassenzimmern anzutreffen sind, sei gesagt: weder die Wissenschaft noch die Gesetze, noch die Gewaltforschung, noch die empirischen Erfahrungen stützen die Annahme, dass Bedrohung, Erniedrigung, Bestrafung und autoritäres Verhalten durch Eltern oder Lehrern der persönlichen Entwicklung von Individuen oder Gemeinschaften nutzen. Ich verweise hier unter anderem auf den Forscher und Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der in seinem lesenswerten Werk Erziehung prägt Gesinnung: Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können auf die Zusammenhänge hinweist.
In deutschen Klassenzimmern herrscht nach wie vor häufig ein rüder Ton vor, der vor allem durch die Lehrerinnen und Lehrer vorgegeben wird und häufig durch Eltern gestützt wird. "Die Kinder müssen ja auch etwas lernen" - so tönt das dünne Argument. Also wird fleißig mit Sechsern gedroht, egal ob für nicht gemachte Hausaufgaben oder für verweigertes Gehorsam.
Hier nochmal für alle zum Mitschreiben: die seriösen Studien sind eindeutig. Das menschliche Gehirn lernt am besten, wenn sich der Mensch wohl fühlt, sich also angenommen, akzeptiert und wertgeschätzt fühlt. Unter Druck und Stress entwickelt das Gehirn entsprechende Botenstoffe, die einem nachhaltigen Lernerfolg im Wege stehen. Höchstleistungen entwickeln Menschen mit ihren Gehirnen unter förderlichen Bedingungen.
Ich höre immer noch zu oft Sprüche wie "... Regeln müssen eingehalten werden!" - "... es fehlt an Disziplin!" - "... die Schüler müssen machen was der Lehrer sagt!" - "... den Anweisungen von Autoritäten muss gefolgt werden!" - "... später im Leben kann man sich auch nicht alles aussuchen!" - auch von Menschen, die ich sonst für aufgeklärt halten würde. Es wird Angst gemacht und gewarnt vor der sogenannten "Kuschelpädagogik". Mir wurde auf entsprechende Hinweise auch schon öfter erklärt: "Wir sind eine staatliche Schule und keine private Einrichtung - wir haben feste Vorgaben, an die wir uns halten müssen ...". Es wird mit Personalnot und übergroßen Klassen argumentiert. Es wird behauptet, dass es Kinder gibt, die keinerlei Anweisung von Erwachsenen folgen würden.
Dem entgegne ich mit einem schlichten Nein! Kinder suchen nach sinnvollen Regeln und halten diese auch gerne ein. Ganz und gar freiwillig. Kinder suchen Menschen, an denen sie sich orientieren können. Nur: wer Kindern vor allem mit Misstrauen begegnet, darf sich nicht wundern, dass es zu Konflikten kommt. Wer Kinder verdingt und nicht als Menschen sieht, darf sich nicht wundern, dass jene Kinder zu empathielosen Erwachsenen werden. Die Gesetze, nach denen soziales Miteinander, Kooperation oder Hackordnung, Wohlwollen oder Neid entstehen sind sehr einfach. Und ein Blick in die Gesellschaft zeigt genau dieses: davon haben wir genug! Integration statt Hackordnung, Wertschätzung statt Mobbing - das ist die Zukunft. Und das ist mit körperlicher oder psychischer Züchtigung nicht zu haben. Schule trägt genau hierfür Verantwortung.