10. Februar 2024

"Menschen machen Schule" - ein Schulkompendium, das man lesen muss

Das Buch ist ein "must have" in jeder Lehrerbibliothek! Das Buch ist sowohl Nachschlagewerk als auch spannende Lektüre, es kann einfach darin geblättert werden oder studiert werden. Es ist ein Mutmachbuch in schwierigen Zeiten, ein Buch, aus dem man Kraft schöpfen kann aus Praxisberichten. Zahlreiche ganz konkrete Fallstudien zeigen auf: Schule geht besser! Man muss es "nur" machen. Auch da ist das Buch schonungslos. Von ganz einfachen Verhaltensänderungen bis zu komplexen Umstrukturierungen des Schulalltags lassen die Autoren fast nichts aus, was sich nicht in die alltägliche Schulpraxis übertragen lässt.

Jede Schule ist anders. So wird auch versucht, die Viefalt in der Schullandschaft abzubilden. Von der privaten Grundschule quer durch alles Schulformen bis zum Ganztagsgymnasium ist so ziemlich alles vertreten und wird mit den jeweils ganz spezifischen Aufgaben portraitiert. Interviews mit Verantwortungsträgern und Schülern ergänzen die Fallstudien. Auch Eltern kommen immer wieder zu Wort.

Hervorzuheben ist die hochwertige Ausführung und das geschmackvolle Layout.

Das Buch teilt sich zunächst in vier etwa gleich starke Bereiche:

  1. Vielfalt achten und Selbstwirksamkeit entfalten
  2. Über den Unterricht hinaus leben lernen
  3. Diskurs mit Menschen und Ansprüchen
  4. Auf neuen Wegen zu klugen Lösungen

In allen Bereichen finden sich Inhalte aus allen Perspektiven des Schullebens in Veränderung. Es kommen Schulleiterinnen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern zu Wort. Es werden Erfahrungen geteilt und Schwierigkeiten aufgezeigt. Aus allen Beispielen spricht die Botschaft: es geht etwas! Wenn sich Menschen zusammen tun, entsteht auch in der Schule eine Dynamik, die sich weiter entwickelt.

Ich will hier zufällige Beispiele aus dem Buch aufgreifen, und mit Zitaten aus den Beiträgen versuchen einen Einblick in das Buch zu geben.

1. Teil - Vielfalt achten und Selbstwirksamkeit entfalten.

Das GENO (Gymnasium Essen Nord-Ost) mit 800 Lernenden hat sich der Vielfalt der Schülerinnen und Schüer angepasst. Die Schule hat 2020 den Deutschen Schulpreis bekommen, nachdem sie 2018 in das Entwicklunsgprogramm aufgenommen wurde.

... In allen Klassen nehmen Lernende, die aufgrund körperlicher Dispositionen besonderen Hilfeanspruch haben, am Unterricht teil.

Am GENO werden unterschiedliche Wege beschritten, um die Schule zu einem Ort zu machen, an dem - ohne Reduzierung auf Abstammung, Ethnie, Herkunf, Disposition, Geschlecht und Glauben - gelebt und gelernt wird. Durch bewusste Wahrnehmung dieser Heterogenität passt sich die Schule den Lernvoraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler an. ... Lernbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit der Kinder werden darüber hinaus durch ein wissenschaftlich fundiertes Achtsamkeitstraining in den 5. Klassen gefördert.

...

Ein beeindruckendes Portfolio an Arbeitsgemeinschaften (AG) rundet die sensible Wahrnehmung von Heterogenität ab. Neben AGs, die den Pflichtbereich abdecken, ... wird eine große Zahl freiwilliger AGs angeboten. ... Weitere Projektgruppen zeigen, wie lebendig Vielfalt an dieser Schule gelebt wird. Dazu gehören "GENO-Serviceteam", "Buddys", "Oberstufenchor und Schulband", "Computerbetreuung im Selbstlernzentrum", "Nachhilfenetzwerk", "Schönere Schule" oder "CultCafé".

Aus dem Interview mit dem Schulleiter Udo Brennholt:

Wild: Wie sehen Schülerinnen und Schüler, Eltern und Partner die Schule?

Brennholt: Wir erhalten von allen Seiten positive Rückmeldungen und werden insgesamt als eine den Kindern und Jugendlichen sehr zugewandte Schule mit hoher Förderkompetenz und Innovationskraft gesehen, die ihrem Programm "Wir führen Ihr Kind erfolgreich zu einem den individuellen Fähigkeiten entsprechenden Schulabschluss" gerecht wird. Mit unserem gemeinsamen Engagement gelten wir in der Stadt Essen nun endlich als eine Schule, die an vielen Stellen erfolgreich Bildungsgerechtigkeit schafft.

Der gesamte Beitrag wird ergänzt durch zahlreiche Informationen, z.B. über das Achtsamkeitstraining,  Seiteneinstieg von Kindern ohne Deutschkenntnisse, Selbstbestimmungstheorie der Motivation, Sprachsensiblen Unterricht und einigen Bildern.

Den Bildern fehlen im gesamten Werk die Bildunterschriften. Sie haben also rein illustrativen Charakter.

2. Teil - Über den Unterricht hinaus leben

"Krass, dass man Schule so krass vermissen kann."
(Die 16-jährige Mette, Gesamtschülerin, nach vier Wochen Schulabstinenz in der Corona-Krise)

Die Hauptüberschrift für das Portrait der Gesamtschule Barmen in Wuppertal lautet

Gesundheit und Well-being an "Orten hoher Anstrengung"

Die Schule wurde 2015 Hauptpreisträger des Deutschen Schulpreises. Weiterhin wurde die Schule in den Jahren 2010, 2011, 2013 und 2018 von der Unfallkasse NRW als gesunde Schule ausgezeichnet.

Aus dem Interview mit der Schulleiterin Bettina Kubanek-Meis:

Michels: Warum haben Sie sich gleich viermal beworben?

Kubanek-Meis: Der Wettbewerb heißt "Schulentwicklungspreis Gute gesunde Schule". In dem Wort Schulentwicklung lag unsere Motivation für die Bewerbungen. Wir wollen uns sukzessive weiterentwickeln, hin zu Schule als einem Ort von Well-being. Wir haben z.B. die Unterrichtsstunden von 45 auf 65 Minuten verlängert. So haben wir mehr Ruhe in den Tagesrhythmus gebracht.

...

... Uns als Schulleitungsteam ist irgendwann aufgefallen, dass es Kolleginnen und Kollegen gab, die sich überfordert zeigten angesichts der Fülle dessen, was unsere Schule macht und wofür sich Kinder und Lehrkräfte engagieren. ... Das durfte nicht sein! Wir mussten uns etwas einfallen lassen, um diese Kollegen wieder "einzufangen". Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Schule jedem Einzelnen das Gefühl vermitteln muss, willkommen zu sein und dazuzugehören.

Unter der Überschrift "Was haben Wohlbefinden und Well-being mit Leistung zu tun?" finden sich wertvolle Hinweise mit Verweisen auf wissenschaftliche Studien, weshalb es so wichtig ist, auf das Wohlbefinden aller am Schulleben Beteiligter zu achten.

3. Teil - Diskurs mit Menschen und Ansprüchen

Das erste Kapitel dieses Teils hat die Überschrift

"Schüler wissen es besser" - Partizipation, die sich auszahlt

Wenn es in den Lehrerzimmern um Partizipation von Kindern und Jugendlichen geht, prallen schon mal die Meinungen hart aufeinander. ... Dieser Beitrag soll Interessierte für die Erkenntnis aufschließen, welche Chancen und auch erfrischenden Möglichkeiten in einer demokratisch gelebten Schule liegen; einer Schule, in der die Lern- und sozialen Bedürfniss Ausgangspunkt und Wegweiser für die Gestaltung des Unterrichts, von Projekten und des Schullebens sind.

Das zweite Kapitel des 3. Teil des Buches ist überschrieben mit

"Leistungsbeurteilung stärker in den Dienst des Lernens stellen"

Die Beurteilung von Schülerleistungen gehört zum Alltagsgeschäft von Lehrerinnen und Lehrern. Sie ist so selbstverständlich, dass mancher sich verdutzt die Augen reibt, wenn man sie zum Thema macht oder ihre gängige Praxis gar als "lernhinderlich" kritisiert.

Und genau dies macht das Buch so wertvoll. Dass es ganz exemplarisch aufzeigt, wie sich Schule neu denken lässt. Und was sich denken lässt, lässt sich auch umsetzen. Die Anne-Frank-Schule in Bargteheide und viele andere Schulen trotzen dann auch mal der bundeswet gesetzlich verankerten Benotungspflicht und setzen stärker auf formative Formen der Leistungsdiagnose und -rückmeldung. Sie machen das zum Teil lediglich "auf Zeit" - durch die Beantragung von Schulversuchen.

Anstatt [durch Noten] turnusmäßig Lernstände festzustellen, geht es um Neugierde. Eine neugierige Haltung, die sich auf den Prozess des Lernens und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler bezieht."
(Schulleiter Andreas Meisner, Integrierte Gesamtschule Franzsches Feld, Braunschweig)

4. Teil - Auf neuen Wegen zu klugen Lösungen

Es beginnt mit dem Kapitel

Woran Eltern die richtige Schle für ihr Kind erkennen können

... Die unterschiedlichen Schulformen und Schulprofile stellen sich heute so differenziert dar, dass es sich lohnt, genau abzuwägen: Was ist für mein Kind eine gute Schule und welche ist für unsere Familie die richtige Schule? Für Kinder ist diese Entscheidung wegweisend. Sie woleln sich wohlfühlen in der Schule, brauchen Angebote, die ihre individuellen Eigenschaften gut stützen. Umso mehr stellt sich für sie die Frage, was gute Schulen eigentlich ausmacht und woran Eltern die "richtige" Schule für ihr Kind erkennen. Es stellt sich aber auch für Schulen die Frage, wie sie sich entwickeln müssen, damit sie den Kindern an der Schule gerecht werden und ein passgenaues Angebot für die Schülerinnen und Schüler anbieten können.

Das zweite Kapitel des 4. Teils beginnt mit der Überschrift

Oh je! Wir haben keine Schülerinnen und Schüler mehr

"In den letzten Jahren haben wir zunehmend gelernt, dass man gemeinsam als Team viel mehr erreichen kann und den Ansprüchen unserer Schülerinnen und Schüler gerechter wird. Auf diese Art von Arbeit möchte vermutlich niemand mehr an der Albrecht-von-Graefe-Schule verzichten."
(Marianne Liebich und Steffi Vogel, Lehrerinnen)

Fazit

Das Buch ist so dicht mit wertvollen Inhalten, dass man es nicht aus der Hand legen möchte. Ein untypisches Fachbuch. In dieser Rezension konnte ich nur einen punktuellen Einblick in die Vielfalt der Hinweise für eine bessere Schule geben, die in dem Buch zu finden sind. Meine Meinung zu dem Buch: absolute Empfehlung!

Beim Friedrich Verlag findet ihr das Inhaltsverzeichnis und den Prolog als Vorschau.


ISBN: 978-3-7727-1404-7 
Erscheinungsdatum: Feb. 2021 
Schulstufe / Tätigkeitsbereich: Sekundarstufe, Grundschule 
Schulfach / Lernbereich: Schulentwicklung

Medienart: Fachbuch
Seitenzahl: 324
Bindeart: Gebunden
Abmessungen: 23,7 cm x 22,4 cm