18. November 2023

Leiden Lehrer unter dem Dunning-Kruger-Effekt?

"Scheiße, einfach nur Scheiße ...." das Kind kommt mit einem Wutanfall aus der Schule. Nein, es ist kein Wutanfall. Es zitiert nur die Lehrerin. "Libre Office ist einfach nur Scheiße ... - so Scheiße ..." - sprudelt es aus ihm heraus. OK, lassen wir das Kind erstmal abkühlen.

Was ist geschehen? Offenbar waren an diesem Tag ein paar Neuronen im Hirn der Lehrerin durcheinander geraten. Lehrerinnen sind auch nur Menschen. Wir wollen ihr das zugestehen. Vor allem: wir wollen sie nicht verurteilen. Uns geht es hier ja eher um eine nüchterne Betrachtung. Zumindest hat die Lehrerin beim Kind einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. ".... ihr seid viel zu laut! Das ist einfach nur Scheiße! Scheiße ist das!" - Ja, der Eindruck war wirklich nachhaltig. Abends frage ich nochmal nach: was ist eigentlich geschehen?

Die Lehrerin hatte über den Beamer Vokabeln an die Leinwand projeziert, die die Kinder abschreiben sollten. In ihrem Dokument waren etliche Fehler drin, weshalb die Kinder nachfragten, weshalb denn so viele Fehler in dem Dokument wären. Und dann ging es los: "Libre Office ist einfach nur ...". Weitere Hintergründe kenne ich nicht. Dennoch frage ich mich: wenn sie das Programm so lästig findet, weshalb benutzt sie es dann? Weshalb verschickt sie das Dokument nicht per iServ an die Schülerinnen und Schüler?

Wieder kommt dasjenige zum Tragen, was hier ja immer wieder das Problem ist: ich kenne nur einen kleinen Teil der Fakten einer Szene und noch viel weniger der Fakten hinter der Szene. Libre Office und Scheiße sind jedoch durch mehrere Lernende bestätigt. Und da muss ich als Schulkritiker ganz schlicht sagen: das geht nicht! Lehrerinnen sind Vorbilder. Mehr noch: sie sind Vorbilder von Berufs wegen. Sie beklagen sich über das Verhalten der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler und verhalten sich selbst alles andere als vorbildlich. Das ist zumindest mangelhaft. Mangelhaft heißt: verbesserungswürdig.

Das, was die Lehrerin hier nun abgeliefert hat, ist kein Einzelfall. Ich bekomme täglich Berichte von Fehlverhalten durch Lehrkräfte. Das geht von der Erniedrigung über Bedrohung bis zur Beleidigung. Häufig werden Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern einfach ignoriert. Ignoranz ist die Vorstufe zum Mobbing. Ja, ich kenne die Entschuldigungsparole, dass Lehrkräfte häufig überfordert sind. Sie verfängt aber nur teilweise. Es ist schlicht eine faule Ausrede. Und was ist diese Ausrede? Ist es Selbstschutz? Ist es Angst vor dem öffentlichen Versagen? Angst vor der eigenen Schwäche?

Ich kenne auch die Reaktion von Schulleitungen auf diesbezügliche vorsichtige Hinweise auf Verhaltensauffälligkeiten von Lehrkräften. Ja, es ist die pure Angst. Die pure Angst eine weitere Kollegin zu verlieren, die pure Angst vor dem Flächenbrand oder dem Dominoeffekt. Es gibt scheinbar ein eisernes Gesetz für Schulleitungen niemals in den geschützten Klassenraum eines Kollegen einzugreifen.

Ich versuche mit möglichst vielen Lehrkräften in einen Dialog zu treten. Ich habe noch keine Lehrkraft gefunden, die von sich gesagt hätte: "Ja, ich kann noch viel lernen!" Dabei beziehe ich mich nicht auf die fachlich-stofflichen Kenntnisse, sondern auf die Fähigkeiten den Lernraum Klassenzimmer für die Schülerinnen und Schüler optimal auszugestalten. Ja, es gibt sie und ich kenne sie auch, die Cracks, die Profis oder umgangssprachlich: die beliebten Lehrerinnen. Diese sind noch am ehesten geneigt sich zu hinterfragen, sich zu reflektieren, zu wachsen und zu lernen.

Meine Beobachtung: den meisten Lehrerinnen und Lehrern geht es hauptsächlich darum ihren behördlich vorgegebenen Arbeitsalltag zu bewältigen. Das bedeutet: die vorgegebenen Lehrbuchseiten durchzuarbeiten und die vorgegebenen Tests und Klassenarbeiten durchzuführen, zu korrigieren und zu bewerten. Dazu wird der scheinbar kürzeste und bequemste Weg gewählt: den Stoff nach pädagogisch anerkannten Methoden in die Klasse zu drücken. Dabei sind alle legalen Methoden erlaubt, um den maximalen Druck aufzubauen. In keinster Weise darf die Lehrerin eigene Schwächen erkennen lassen! Das ist das allerwichtigste Lehrergesetz. Eine Schulklasse, die bei einer Lehrerin oder einem Lehrer eine Schwäche erkennt, wird sie unbarmherzig ausnutzen. Bis zur totalen Vernichtung. Das wissen Lehrerinnen und Lehrer sehr genau. Und dies macht dann genau das: es führt zur eigenen Selbstüberschätzung der Lehrkraft. Die Lehrerin glaubt, dass sie die Klasse "im Griff" hat. Sie glaubt kompetent zu sein. Sie glaubt, alle Fähigkeiten zu besitzen das maximale in die Kinder einzutrichtern und wieder heraus zu holen.

Es ist dies, was landläufig unter dem Begriff Dunning-Kruger-Effekt bekannt ist: die Selbstüberschätzung bei Nicht-Wissen, Nicht-Können oder Halbwissen. Bestätigt wird jede Lehrkraft an jedem Tag von neuem. Sie bestätigt sich selbst. Ich bezeichne dies hier als den manifestierten oder festgetrampelten Dunning-Kruger-Effekt.

"Mauern in Gebäuden einzureißen ist leicht. Mauern in den Köpfen reißen Sie nicht so einfach ein." - Dies ist das Zitat eines Schulleiters - in diesem Falle bezogen auf die Schulbehörden. Diese Mauern finden sich jedoch auch in den Köpfen von Lehrkräften. Um dies an dieser Stelle auch nochmal zu betonen: nein, es handelt sich nicht um ein pauschales Lehrer-Bashing. Das habe ich nicht nötig und es führt zu nichts. Ich kenne viele Lehrkräfte, die eine echte Offenheit haben jedes Kind ganz persönlich und individuell wahrzunehmen und zu fördern. Es gibt aber eben auch sehr viele Lehrkräfte, denen die Kinderschicksale egal sind.

Svenja Hofert schreibt in ihrem Buch "Agiler führen"

"... Kinder, die sich für etwas interessieren, werden schnell mundtot gemacht. Leistung wird mit Checklisten bewertet, viele Lehrer könnten das Außergewöhnliche gar nicht erkennen. Das ist der Dunning-Kruger-Effekt ... Lehrer oder Manager können schwerlich Leute identifizieren, die schlauer sind als sie selbst."

Wir müssen das erstmal recht emotionslos so hinnehmen. Auch wenn es schwer fällt. Es hilft nicht in Aufregung zu verfallen oder einzelne Lehrkräfte an den Pranger zu stellen oder zu diskreditieren. Wir müssen das Problem nüchtern anschauen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Das Problem ist systemisch und es ist auch systemisch deutsch. In kaum einem anderen Land der Erde ist die Lehrerausbildung so weit von der Praxis entfernt wie in Deutschland. Man würde niemals einem Menschen die alleinige Verantwortung über ein Flugzeug überlassen, der nicht gründlich dafür ausgebildet wurde. Auch den Führerschein fürs Auto gibt es erst nach einer praktischen Ausbildung und einer entsprechenden Prüfung. Lehrerinnen und Lehrer werden nach einer Referendariatszeit, in der sie unter Beobachtung einzelne Unterrichtsstunden abhalten, vollkommen alleine gelassen. Danach sind sie ein ganzes Berufsleben lang Einzelkämpferinnen unter Einzelkämpfern. Auch die Bedienung von Libre Office müssen sie sich selbst beibringen.

Schule geht besser.

Der Lehrer, Dozent für Fachdidaktik an der IFE der Universität Zürich und Autor Philippe Wampfler schreibt über den Dunning-Kruger-Effekt Die große Bedeutung von Selbsteinschätzung – und warum es den Dunning-Kruger-Effekt nicht gibt. Dabei geht Philippe Wampfler nicht darauf ein, auf welche Personengruppe sich seine Einschätzung bezieht. In seinem Artikel plädiert er dafür, dass sich Lernende richtig einschätzen können. Dieser Ansicht muss ich natürlich mit sehr heftigem Kopfnicken zustimmen. Nun hat Philippe Wampfler auch das Buch Schule ohne Noten geschrieben. Er ist also ein Verfechter einer konstruktiven Lernumgebung und schreibt auch ganz klar: "Die Notenfixierung erschwert sinnstiftendes Lernen." Damit schließt sich auch der Kreis zum Zitat von Svenja Hofert. Damit unterstreicht Philippe Wampfler auch meine These, dass die konservativ autoritäre Lehrkraft mit ihren Drohungen und Beschimpfungen den aktuellen Erfordernissen an ein konstruktives Lernsetting nicht gerecht wird.

Der psychologische Mechanismus der sich überschätzenden Lehrkräfte ist aber einfach zu erklären. Der Mensch hat einen eingebauten Selbstschutz, der ihn im Zweifelsfall vor Verzweiflung schützt. Er hält lieber an einer einmal gefassten Meinung oder These fest, obwohl diese weder haltbar noch nützlich ist. Dieser Selbstschutz schützt den Menschen aber davor seine Meinung ständig zu ändern. Es scheint evoltionär sinnvoller zu sein genau in die falsche Richtung zu gehen und dies konsequent zu verfolgen, als ständig an der eingeschlagenen Richtung zu zweifeln. Insofern dürfen wir hoffen und wünschen, dass bei den autoritären Lehrkräften ein Umdenken noch stattfinden kann und wird.

Nochmal: Schule geht besser!