28. Januar 2022

Lehrer - ein Job für Idealisten?

Die ZEIT macht das Thema kurz zur Top Schlagzeile: Lehrer - Doch kein Job für Idealisten (Bezahlschranke). Die Zeitung schreibt Grotesken und haarsträubende Beispiele aus dem realen Schulalltag. Computerunterricht ohne Computer. Eine Mutter, die per Whatsapp bei der Lehrerin am 24. Dezember noch Aufgaben für die Tochter anfordert, innerhalb von drei Stunden müssen die Aufgaben da sein. Wenn es nicht so betroffen machen würde, es wäre wirklich heiter. Nun kann man einwenden "das sind Einzelfälle!". Ja. Aber im Artikel wird doch recht gut beschrieben, wie solche "Einzelfälle" den Schulalltag und den Lehrerberuf prägen. Und wie solche Einzelfälle den Lehrerberuf zur Zumutung machen. Und wie solche Einzelfälle dazu führen, dass viele Lehrer einfach nicht mehr wollen.

Der Artikel liegt hinter einer Bezahlschranke. Er hat innerhalb von 20 Stunden 189 Kommentare bekommen. Da er hinter einer Bezahlschranke liegt, können wir davon ausgehen, dass der Trollanteil unter den Kommentatoren eher gering ist. Und auch die Kommentare haben es in sich und lassen uns einen tiefen und abgrundtiefen Blick in das Schulsystem werfen.

Wenn wir als Eltern damit zufrieden sind, dass die Mehrheit zu wenig Zeit für essenzielle Dinge wie Unterrichtsvorbereitung, Kümmern um Einzelfälle etc. hat, dann können wir alles so lassen.

 

Wenn am System etwas verkehrt ist, kann es nicht richtig sein, den Menschen zu Grunde zu richten und ihn dann auszusortieren bzw. er resigniert. Was für eine Katastrophe!

 

Die Menschen werden auch immer anstrengender. Als ich zur Schule ging, war einmal im Halbjahr Elternabend, und das hat auch gereicht. Jetzt kommen die Eltern wegen jedem Käse angelaufen, vom Umgangston mal ganz zu schweigen.
Ebenso konnten bei uns alle still sitzen in der 1. Klasse. Den ganzen Vormittag lang. Jetzt toben und schreien alle durcheinander.

Solange Höflichkeit und Disziplin in D als veraltet gelten, und jeder meint, sich benachteiligt fühlen und den anderen heruntermachen zu dürfen, ist jeder Job, der mit Menschen zu tun hat, eine Zumutung.

 

Unser Landkreis hat kein Geld für seine Schulen. Die Gebäude sind verwharlost, die Toiletten ein Grauen. Und für externe Dienstleister ist überhaupt kein Geld da.

 

Anstatt Millionen für Geräte auszugeben, sollte man lieber STELLEN finanzieren für Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologen und ja sogar Sekretärinnen!

 

Knapp 2000€ netto gibt es bei uns in der Behörde auch in der Poststelle. Da würde ich lieber Briefe sortieren und kuvertieren als halbtags Lehrer zu sein.

 

Es gibt Berufe, für die braucht's Berufung, zeigt sich in kritischen Zeiten.

 

Ich finde eine Zufriedenheitsrate von 85% sehr hoch. Da müssen andere Berufszweige sicherlich mit weniger Zufriedenheit klar kommen.

Es wäre für eine Gesellschaft wünschenswert, wenn der Lehrerberuf zum einen befriedigend wäre und zum anderen ausschließlich mit Menschen besetzt wäre, die Freude an ihrer Arbeit hätten. - Ein bisschen Idealismus darf ja sein. Fakt ist, dass es kaum einen Beruf gibt, der tatsächlich so viel echte Verantwortung verlangt. Ein Topmanager, der Mist macht, bekommt eine satte Abfindung. Ein Taxifahrer, der unfreundlich ist, wird entlassen, eine Kassiererin, die einen Pfandbon nicht richtig verbucht ebenso. Ein Lehrer, der seine Schüler nicht mag, wird von seinem Umfeld bemitleided und trägt seinen Ärger weiter in die Klasse.

Das wird zu einem Teufelskreis. Lehrer, die in einem schlechten Schulsystem unterwegs sind, hinterlassen schlecht gebildete Schüler. Die mögen vielleicht gute Zeugnisnoten haben, es fehlt aber Sozialkompetenz, Empathie, Selbstvertrauen und die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen. Die wichtigen Skills fehlen komplett. Das ist dann wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln: er wird nicht fliegen können. Diese Menschen sind anfälliger für einen sozialen Abstieg, psychische Erkrankungen, Alkoholmissbrauch. Es muss nicht sein, aber die Wahrscheinlichkeit steigt. Deren Kinder gehören zwangsläufig zur sozialen Randschicht (unteres Ende) mit ähnlichen Lebensaussichten. Wollen wir diesen Teufelskreis pflegen, kultivieren und beibehalten? Oder wollen wir ihn durchbrechen.

Das ist eigentlich das, was Chancengleichheit bedeutet: dass jeder Mensch die Chance bekommt wahrgenommen zu werden mit seiner Prägung, seiner Geschichte und individuell gefördert wird. Nicht durch Nachhilfe. Nachhilfe stigmatisiert und klaut den betroffenen Menschen die Kindheit. Nein: durch Zuwendung und Unterstützung und Akzeptanz. Nicht durch Notendruck sondern durch Förderung der ganz persönlichen Skills.

Die Gesellschaftlichen Kosten dieses Teufelskreises sind hoch. Daher wird niemand sagen können, er sei davon nicht betroffen.

Hier gibt es noch ein Video zum Thema:
Klasse Lehrer? – Was macht einen guten Lehrer aus?
Johan von Mirbach macht sich auf die Suche. In Finnland und in Deutschland, an Hochschulen und in Klassenzimmern.
https://youtu.be/ucU09QCOQ64