16. März 2022
Ist die Orientierungsstufe eine gute Idee?
Als ich von der Existenz der Orientierungsstufe in Mecklenburg hörte, dachte ich: "ach, das ist eigentlich eine gute Idee. Die Schulwahl nach der vierten Klasse ist eigentlich eh zu früh und diese zwei Jahre zur Orientierung sind doch eine gute Sache!". Und ... die Praxis?
In Niedersachsen wurde die Orientierungsstufe ab 1972 an einzelnen Schulen, ab dem Schuljahr 1981/82 dann landesweit eingeführt und 2004 wieder abgeschafft. (wikipedia)
Der ganze Wikipedia Artikel ist - wie so vieles, was das Bildungswesen angeht - ausgesprochen lesenswert und interessant. Im Grunde kann ich damit meine Ausführungen schließen, denn dasjenige, was dort unter "Kritik" geschrieben steht, trifft in vollstem Maße und zwar volles Pfund zu! Das reicht leider nicht. Das Malheur ist tatsächlich noch heftiger.
Die Durchmischung der Klassenverbände ist ein herber Einschnitt, sowohl für Lehrer als auch für Schüler. Der Lehrer muss eine neue Klasse kennen lernen, die Klasse muss sich strukturieren. Wer selbst einmal einen Schulwechsel mitgemacht hat, weiß wie sich das anfühlt. Es ist an und für sich eine dumme Idee die Klassen neu zusammen zu setzen. Und außerdem vollkommen unnötig. Im Prinzip geht jede Schülerin und jeder Schüler nach der Klasse 4 in eine neue Einheitsschule, die sich Orientierungsstufe nennt. Da könnte man gleich die Grundschule sechs Schuljahre dauern lassen.
Jetzt kommt aber die ganz besondere Krux: unser Einheitsschulsystem muss dann die Kinder, die mit zunehmendem Alter auch ihre Fähigkeiten stärker oder weniger stark ausprägen und individualisieren in einer Klasse unterrichten. Auch hier werden die Klassen nicht nach starken und weniger starken Schülern zusammengestellt, was vielleicht einige karriereorientierte Menschen befürworten würden. Die Klassen bleiben durchmischt. Und anstatt dann diese Durchmischung auch als Chance zu begreifen, wird genau die schlimmste Variante gewählt: alle Schülerinnen und alle Schüler einer Klassen müssen das gleiche machen. Die Lehrer beklagen sich laut über die "starken Leistungsunterschiede" in der Klasse und lassen ihren Unmut darüber ungezügelt über die Schüler aus. Starke Schüler werden ausgegrenzt und mit langweiligem Zeug beschäftigt. Weniger starke Schüler werden mit Nachhilfe und Hausaufgaben geplagt.
Ich habe mir heute mal die Arbeitsblätter der Kinder angeschaut. Das ist tatsächlich mittleres Viertklassniveau. Und die Kinder müssen das machen. Sonst droht Ermahnung, Tadel und Schulverweis. Und es drohen schlechte Noten in Mitarbeit. Auch wurde schon mit Note sechs bei nicht gemachten Hausaufgaben gedroht. Ja, ihr lest richtig. Ernsthaft. Ich habe den entsprechenden roten Kommentar des Lehrers im Hausaufgaben mit einem Smiley versehen - was anderes fiel mir nicht ein. Es gelingt in den Schulen nicht einmal unterschiedlich schwere Aufgaben zu verteilen. Genau damit würde man den nicht so starken Schülern ein Erfolgserlebnis vermitteln und die starken Schüler nicht zu sehr zu langweilen.
Orientierungsstufe nennt sich das. Wer sich da aber wo und wie orientiert? Möglicherweise ist die Orientierungsstufe doch eher das Nadelöhr, durch das der Elefant irgendwie durch muss. Schön wäre es, wenn sich die Schule ein bisschen an den Kindern orientieren würde. Das wäre passend. Bei den Kindern findet eher eine Desorientierung statt. Da ist von den Eltern einiges gefordert. Ich kann ja mal zählen ... 489 Kalendertage, etwa 300 Schultage müssen wir noch durchhalten. Das kriegen wir hin.