15. Mai 2023

Dürfen Schüler Lehrer bewerten?

Die Frage ist eigentlich einfach: dürfen Schüler und Schülerinnen Lehrerinnen und Lehrer bewerten? Aber offenbar gibt es bei der Antwort recht unterschiedliche Ansichten, wie sich heute in einer 6. Klasse in der Dorf Mecklenburger Schule zeigte.

Die Lehrerin ist der Ansicht: nur Frau Dr. S. (Schulleiterin) und Herr R. (stellvertretender Schulleiter) dürfen ihren Unterricht bewerten. Die Schüler dürfen das nicht. Auch der Hinweis eines Schülers, dass das nicht stimmt, konnte die Lehrerin nicht umstimmen.

Wir klären das kurz.

Offenbar kennt auch diese Lehrerin die Landesschulverordnung nicht. Da steht ganz klar:

Ziel der schulischen Bildung und Erziehung ist die Entwicklung zur mündigen, vielseitig entwickelten Persönlichkeit, die im Geiste der Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber künftigen Generationen zu tragen.

Paragraf 2, Abs. 1

Da steht nicht: die Schüler werden zu hörigen Figuren einer Diktatur gezwungen. Oder so etwas ähnlichs. Es geht noch weiter, aber das könnt ihr ja selbst lesen.

Eine Anfrage bei Google sagt sogar ganz klar, dass Beurteilung von Lehr/mwd durch Schülerinnen und Schüler erlaubt ist.

Die Schulleiterin Frau Dr. S. schreibt mir kurz und knapp auf die Nachfrage, ob dies erlaubt wäre

sicherlich, im Internet gibt es diverse Plattformen dazu.

Einen interessanten Artikel zu dem Thema habe ich bei der Süddeutschen gefunden. Zwar bereits aus dem Jahr 2016 und für Bayern, nicht für Mecklenburg, aber durchaus lesenswert.

Der australische Bildungsforscher John Hatthie sieht ganz klare positivie Effekte auf den Lernerfolg durch eine Feedback Kultur in beide Richtungen.

Lehrer Schmidt ist für Evaluation, aber gegen Portale, was er auch gut begründet und was durchaus verständlich ist.

Die Schulbehörde in Mecklenburg bietet sogar einen eigenen Dienst an (bin grade zu faul den Link raus zu suchen), über den Lehr/mwd sich selbst bewerten lassen können. Dabei bekommen nur sie das Ergebnis zu sehen.

Also - ganz so einfach, wie die Lehrerin aus der 6. Klasse glaubt, kommt sie um eine Bewertung nicht herum.

Wir sind hier allerdings bei Schule geht besser. Und da kann es nun wirklich nicht darum gehen einfach nur recht zu haben. Denn: wir wissen es besser.

Interessant ist ja die Empörung einiger Personen über die Idee, dass Lehr/mwd bewertet werden können. Es sind die gleichen Personen, die die Bewertung von Schülerinnen und Schüler nicht nur normal sondern für enorm wichtig halten. Und da muss man nun festhalten: da besteht eine gewisse Diskrepanz. Diese Diskrepanz hat einen Namen: Adultismus. Die Erwachsenen sagen, was für Kinder gut ist, die Erwachsenen bestimmen, was Kinder können müssen, was gut ist und was schlecht ist usw. Und hier wieder die Frage: was stellen wir mit diesem Adultismus in der Gesellschaft und bei den Kindern an? Auch da ist die Antwort leider einfach und ernüchternd: Lernmüdigkeit, Lernverweigerung, Schulverweigerung - das sind so die hauptsächlichen Effekte.

Famoserweise gibt es mittlerweile zigtausend Beispiele, dass es wirklich besser geht. In der Kunst, im Sport, in allen Disziplinen wissen wir, dass Höchstleistung nur und ausschließlich durch Selbstmotivation und Begeisterung entsteht - natürlich mit der entsprechenden und auch motivierenden Unterstützung. Durch massiven Druck wird lediglich Mittelmaß erreicht. Das gilt nicht nur für die Spitzenbereiche mit Höchstleistungen. Das gilt auch für den mittleren und den unteren Leistungsbereich. Je mehr Druck, je mehr Zwang, umso geringer die Leistung. Wir nehmen mal den DDR Sport als Beispiel. Dort wurde mit massivem Druck, mit übelsten medizinischen Methoden, mit psychischem Zwang versucht Höchstleistung zu erzielen. Herausgekommen ist Mittelmaß und tausende geschädigte Sportlerinnen und Sportler.

Schulen, die um den Wert der gegenseitigen Wertschätzung wissen, haben den Lehrer längst abgeschafft. Dort gibt es Menschen, die auf Augenhöhe miteinander lernen, voneinander lernen und wo es selbstverständlich ist eine Rückmeldung einzuholen und abzugeben. Ehrlich und wertschätzend. Wie es die Landesschulgesetze vorsehen.

Noch eins aus der Praxis. Ich war mit dem Kind vor einem Jahr bei der schulpsychologischen Beratung zum Test. Im anschließenden Gespräch sagte mir die Psychologin, dass das Kind keine Auffälligkeiten im Verhalten zeigt. Es hat sie gebeten die Trainingsunterlagen nicht ständig auf dem Tisch hin- und her zu schieben, weil ihn dies nervös machen würde. Da hat die Psychologin betont, dass dies ein vorbildliches Verhalten ist.

Ein paar Tage später ...

Nachdem ich die eindeutige Antwort der Schulleiterin auf meine Frage hatte, kam mir die ganze Geschichte doch komisch vor. Ich fragte das Kind nochmal, wie denn die ganze Geschichte zustände gekommen sei und ob es noch weitere Infos hätte. Da erzählte es, dass die Diskussion wohl zustande gekommen sei, weil einige Kinder in Frage stellten, woher denn das schlechte Ergebnis der letzten Arbeit mit einem Klassendurchschnitt von 4,7 gekommen sei. Die Lehrerin war steif und fest der Ansicht, dass dieses Ergebnis nur darauf zurückzuführen sei, dass die Schüler schlecht gelernt haben.

Nun kam mir das alles so komisch vor, dass ich gerne gehört hätte, wie die Lehrerin denn die Diskussion erlebt hat und wie es sich aus ihrer Sicht zugetragen hat. Ich bat sie also um einen Anruf. Per E-Mail. Denn in dieser Schule werden Lehrerinnentelefonnummern streng geheim gehalten.

Den Text der Antwortmail gebe ich hier im Original wieder:

vielen Dank für Ihre Nachricht. Es war mir heute zeitlich leider nicht möglich Sie zu kontaktieren. Ich werde dies gerne gegen 13.00Uhr morgen erledigen. Auch wenn ich mich gefreut hätte, wenn Jonathan seine Missverständnisse zunächst mit mir klärt und er das Gespräch mit mir gesucht hätte. Den Weg über die Eltern sollte erst der zweite Schritt sein.

Just zu dieser Zeit musste ich aber die Kinder aus dem Nachbardorf von der Bushaltestelle abholen, was ich ihr prompt zurück schrieb.

Liebe Frau W.,

vielen Dank für Ihre Antwort.

Exakt morgen um 13 Uhr muss ich los, um die Jungs in Gressow vom Bus aus Wismar abzuholen. Ich bin aber davor und ab ca. 13.20 gerne für Sie erreichbar.

Für mich ist es auch kein Problem, wenn Sie das Missverständnis direkt mit J. klären wollen. Es kommt allerdings gelegentlich vor, dass offenbar im Schulalltag einfach nicht die Zeit da ist, um Dinge direkt persönlich zu klären, was für mich auch gut nachvollziehbar ist. Es ist dann so, dass wir hier so weit es geht darüber sprechen und bei Klagen der Kinder auch versuchen die Position der Lehrkräfte zu verstehen und verständlich zu machen.

Ich möchte auch keinesfalls die Position der Helikoptereltern einnehmen, die alles für ihre Kinder klären und bereinigen müssen. In diesem Falle fand ich die Frage nach einem Rückruf nicht unangemessen. Die Entscheidung liegt aber bei Ihnen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Lieber Gruß aus Tressow,

Wolfgang Bund

Danach folgte: nichts.

Nun gehen wir ein wenig in die Textanalyse. Offenbar ist Frau W. die Sache unangenehm. Anders ist ihr vierter Satz nicht zu erklären. Die gute Frau wird wohl nicht erwarten, dass das Kind nach dem Unterricht zu ihr kommt und sagt: "Frau W., ich möchte mit ihnen noch dies und jenes klären..." - wo doch Frau W. dem Kind klar kommuniziert hat: mit mir ist nicht zu diskutieren. Der letzte Satz in ihrer Mail sagt auch klar: Eltern haben sich nicht in den Adultismus der Schule einzumischen!

Einige Tage später ...

Das Telefon klingelt. Vormittags. Frau W. ruft mich an. Sie hätte gerade mit dem Schüler gesprochen. Sie wollte ihm klar machen, dass Lehrer die absolute Hoheit haben in der Schule. Sie hat zwar eingelassen, dass Schüler sehr wohl Lehrer bewerten dürfen. Sie dürfen aber ihre pädagogische Leistung nicht in Frage stellen. Auch dürfen sie die Arbeit der Lehrerinnen nicht bewerten. Das ist verboten, weil sie das ja gar nicht beurteilen können. Da bewegt sich dann mein Kopf seitwärts hin und her und ich spüre meine Fingernägel auf meiner Kopfhaut. Das kratzt.

Die Frau lebt im vorvergangenen Jahrhundert. Leider. Das macht sie nicht böswillig. Die moderne Welt lebt von der sogenannten Feadbackkultur. In allen Bereichen. Nur so lernen wir, das heißt wir mehren unser Wissen. Unser ganz persönliches Wissen, aber auch das Wissen allgemein.

Frau W. erzählt mir, dass die Schüler sich empört haben darüber, dass die Hausaufgaben von vor einigen Wochen noch nicht bewertet waren. Huch? Wirklich? Hausaufgaben bewerten? Liebe Frau W., das ist schlicht nicht erlaubt, die Arbeit könnten Sie sich sparen. - Ich möchte es ihr am liebsten sagen, aber die Frau ist Lehrerin. Sie hat schon gegenüber der Klasse und den Schülern betont, dass kein Dialog über ihre Arbeit erwünscht ist. Dumm eigentlich.

Sie fragt noch, ob ich sonst noch etwas besprechen wolle. Naja, den ganzen Sack konnte ich dann auch wieder nicht aufmachen. Ich fand es erstmal gut, dass sie danach gefragt hat. Ich habe ihr dann berichtet, dass es für uns schon bemerkenswert war, dass ein Schüler von einer eins auf eine fünf abrutscht. Im gleichen Fach. Nach Lehrerwechsel. Auch das war ihr egal. Ob wir es nachvollziehen können. Hat sie gefragt. Naja. Das ist natürlich auch eine doofe Frage. Wir sitzen ja nicht im Klassenzimmer. Deswegen können wir auch gar nichts nachvollziehen. Das Klassenzimmer ist ja für uns quasi sowas wie eine Blackbox, aus der zumeist Unmut raus kommt. Was soll man da sagen? John Hatthie zitieren? "Teacher matters" - sie ist ja Englischlehrerin. Hättie sie nicht verstanden.

Ich muss dabei einlassen, dass sie, ähnlich wie viele Politikerinnen, nicht böswillig ist. Ich glaube sie meint es gut. Aber genau so ist es: das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ich versuche sie zu beruhigen, indem ich ihr sage, dass es ja nur noch wenige Wochen bis zum Schuljahrsende sind und wir das beste aus der Zeit machen. Jetzt wünsche ich ihr und allen ihren Schülerinnen und Schülern, dass sie vielleicht nochmal über das Telefonat nachdenkt. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht.

Schule geht besser!