20. März 2022
Die Schule ist besser als ihr Ruf ...
"Viele Schüler finden Noten gut." schreibt mir eine bekannte Jounalistin der ZEIT. "Wer die Schule von innen kennt weiß, dass es so schlimm nicht ist, sie ist nicht perfekt und in einigen Punkten durchaus verbesserungswürdig, aber weitaus besser als ihr Ruf," schreibt eine Kommentatorin.
Als Kritiker des deutschen Schulsystems fängt man nicht allzuviel Sympathien ein. Im Gegenteil. Man wird etwas barsch darauf verwiesen, dass sich ja die PISA Ergebnisse der deutschen Schulen in den letzten Jahren verbessert haben. Und man solle sich da doch bitte raus halten, die Schule kann nicht jeden Wunsch erfüllen. Viel zu viele Probleme werden aus Elternhäusern mit niedrigem Bildungsniveau in die Schule getragen - und was man denn noch alles tun solle, die Lehrer wären ja schon am Anschlag. Neulich habe ich von zwei Lehrern gehört: wir sind eine staatliche Einrichtung und keine Privatschule. Das meinten die ernst.
Ich glaube aus verschiedenen Gründen nicht, dass wir die Schulfrage so lapidar auf die leichte Schulter nehmen sollten. Es geht um mehr: es geht um die Zukunft der Gesellschaft. Nicht mehr und nicht weniger. Die OECD sagt ganz klar: Deutschland ist wieder mal Weltmeister in der Disziplin der sozialen Spaltung. Die Schulsozialarbeit ist komplett überlastet und die Kinderpsychologen schlagen Alarm. Es gibt zu viele Schulabbrecher. Lehrerinnen und Lehrer melden sich mit Burnout oder anderen Erschöpfungssyndromen ab. Deutschland gibt verglichen mit anderen Ländern sehr wenig für Bildung aus. Es werden zu wenig Lehrer ausgebildet. Viele Schulen sind schlicht marode. Also: besser als ihr Ruf oder vielleicht doch nicht?
Zum einen kann man nicht alle Schulen und alle Lehrer über einen Kamm scheren. An den grauenhaftesten Schulen, gibt es Kollegen, die sich mit enormer Kraft für die Kinder einsetzen. Und es gibt tolle Schulen, an denen sich einzelne Lehrer erhebliche Fehltritte leisten. Kürzlich wurden an einer Privatschule in Süddeutschland zwei Kollegen fristlos auf die Straße gesetzt. Also mit schwarzweiß kommen wir nicht weiter.
Was wir bräuchten, wären verlässliche Erhebungen. Oder, im Klartext: Schulnoten. Schulen müssten nach vergleichbaren Kriterien bewertet werden. Wie viele Stunden fallen aus? Gehen die Schüler gern in die Schule? Können die Schüler frei lernen? Wird Gruppenarbeit gemacht? Sehen sich die Schüler individuell gefördert? Wie zufrieden sind die Eltern? Gibt es Weiterbildungsangebote für die Lehrer? Wie wird der Klassenraum von den Schülern bewertet? Wie wird die Schule (Gebäude, Toiletten, Schulhof) von den Schülern bewertet? Kennen die Lehrer die Grundzüge aus der Lernforschung? Ist das Kollegium kooperativ? Wird Unterricht evaluiert und dem Lehrer Hilfe für die Unterrichtsgestaltung angeboten?
In anderen Bereichen des täglichen Lebens ist es selbstverständlich, dass belastbare Zahlen vorliegen. So wissen wir sehr genau, wieviel Fußgänger und Radfahrer pro Jahr ihr Leben im Straßenverkehr verloren haben. Würden keine Verkehrstoten gezählt, gäbe es auch keine Sicherheitsgurte in den Autos.
Gute Schule ist wertschätzend.
Gute Schule ist selbstkritisch und reflektiert ihre Arbeit.
Gute Schule sieht den komplexen Auftrag der Schule.
Gute Schule ist leidenschaftlich im Hinblick darauf, was sie erreichen möchte.
Gute Schule ist eine lernende Schule.
Gute Schule ist ein individuell-dynamischer Prozess.
Schreibt Johannes Baumann in "Schulleitung und Schulentwicklung für Fortgeschrittene". Lassen sich diese Faktoren messen? Dann sollten wir genau dieses tun. Anders kommen wir nicht dahin zu sagen "es ist gut", "es ist befriedigend" oder "es ist mangelhaft".
Ein anderer Vergleich: 70% aller Russen finden Putin gut. Aber ist er nun deswegen gut, weil ihn 70% gut finden? Das lässt sich doch nur durch objektive Vergleiche feststellen. Und objektiv sind Vergleiche, wenn sie von außen mit anderen, vergleichbaren Objekten vermessen werden. Möglicherweise schneidet dann Herr Putin nicht mehr ganz so dolle ab.
Wie unsere Schulen tatsächlich bei einer Evaluierung abschneiden wissen wir nicht. Wir sollten daher vorsichtig sein mit Behauptungen jedwelcher Art in jedwelche Richtung. Klar müssen wir aber auch die Fakten benennen dürfen und wir müssen sie auch benennen. Auch die Missstände.