8. August 2023
Wer bestimmt, wie und was Kinder lernen? Wir lernen Sudbury kennen
Eigentlich haben wir ja Ferien. Doch mir lief heute dieser Artikel in der Ostsee-Zeitung über den Weg. Besser gesagt: über den Bildschirm. In der Ost-see-Zei-tung. Leider hinter einer Bezahlschranke. Kurz gesagt: es geht um die Geschichte einer Sudbury-Schule am Ammersee. Die Schule wurde 2016 nach zwei Jahren Schulbetrieb geschlossen, genauer gesagt: es wurde ihr der Schulbetrieb untersagt.
Es gibt keinen Lehrplan, keine Fächer, keine Klassen, keine Klassenzimmer, keine Klassenarbeiten, keine Noten. - So der Artikel. Es ist also eine Schule der Zukunft. Eine Schule im ureigentlichen Sinne. Dem Begründer des Sudbury Konzeptes, Daniel Greenberg, fiel in den 60er Jahren auf, dass 90 Prozent aller Schüler die Schule hassten. Psychologen wissen, dass dies eine schlechte Voraussetzung für Lernerfolg ist. Eigentlich kann das jeder wissen.
Im Artikel der Ostsee-Zeitung steht: "Aber ist es auch ein tragfähiges Konzept, das Kinder und Jugendliche in Deutschland korrekt ausbildet?" - Das dürfte eine Kernfrage sein. Wir können diese Kernfrage aber einfach mal anders stellen: Wer bestimmt, ob und wie Kinder und Jugendliche in Deutschland korrekt ausgebildet werden? Nach welchen Maßstäben wird festgelegt, was eine korrekte Ausbildung von Kindern und Jugendlichen ist? usw ... - Sehr schnell kommen wir zu der Antwort: das derzeitige Schulsystem garantiert nicht! Deutschlands Schulsystem schneidet nicht nur im internationalen Wissensvergleich nur mittelmäßig ab. Insbesondere die soziodemographischen Ergebnisse bewegen sich im unteren Mittelfeld. Eine Gesellschaft driftet nach rechts. Die Arbeitslosenzahlen sind hoch. Die Burnoutrate, psychische Erkrankungen und die Verweigerungsrate an Teilhabe an der Gesellschaft sind hoch, die Innovationskraft ist gering. Die psychischen Auffälligkeiten unter jungen Erwachsenen ist hoch - bei all dem spielt der Einfluss der Schule auf die heranwachsenden Menschen eine große Rolle. Man muss es so benennen: die Abdrift der ganzen Gesellschaft in allen Bereichen ist zu groß.
Fast ein fünftel der Gesellschaft gilt als armutsgefährdet - berichtet die ZEIT ohne Bezahlschranke. Dies ist auch ein Phänomen von politischem Versagen - insbesondere in der Bildungspolitik. Das deutsche Bildungssystem gilt im internationalen Vergleich als sozial ungerecht. Wir brauchen also dringend eine Schulreform und eine Bildungsreform, die allen Menschen eine Chance bietet. Sudbury kann immerhin dazu beitragen. Wenn nicht auf breiter Basis, so doch als Modellprojekt.
"Erreichen Schülerinnen und Schüler der Sudbury Schule die gleichen Fähigkeiten, Kenntnisse, das gleiche Wissen wie diejenigen, die Regelschulen besuchen?" - so der Artikel in der Ostsee-Zeitung. Aufgrund der desaströsen Situation der Gesellschaft in Deutschland darf doch auch die Frage gestellt werden: ist es überhaupt erstrebenswert, dass Schüler die gleichen Fähigkeiten, Kenntnisse und das gleiche Wissen erreichen wie Schüler, die die Regelschulen besuchen? Werden heute und in der Zukunft überhaupt die gleichen Fähigkeiten gebraucht, wie sie seit mehreren hundert Jahren Menschen an den Schulen aufgezwungen wurden?
Es ist erschreckend, dass der Behördenstaat hier mit der großen Gesetzeskeule zuschlägt. Es kommt einem vor, als würde hier das Exemple statuiert: was nicht sein kann, das nicht sein darf. Des Deutschen Liebling scheint nicht nur in der Politik die Einheitsschule zu sein. Nordkorea lässt grüßen. Wobei sowohl in der Verfassung als auch in den meisten Landesschulgesetzen ganz andere Schwerpunkte gesetzt sind.
Es sollte allen klar sein: Deutschland braucht eine andere Bildungslandschaft. Was liegt da näher, als mutige Vordenker nicht zu verbieten sondern zu fördern - oder einfach zu beobachten und Erfahrungen zu machen. "Die Eltern der Kinder sind in der Regel gut gebildet, der Akademikeranteil ist hoch." - So die Ostsee-Zeitung. Bei Sudbury handelt es sich also auch keineswegs um esoterische Spinner, Leerdenker, Reichsbürger oder andere fehlgeleitete Subjekte - übrigens auch ein Phänomen einer kaputten Bildungslandschaft. Es sind schlicht Menschen, die erkannt haben, in welchem Umfeld Kinder und Jugendliche am besten lernen und Fähigkeiten erwerben, die ihnen und der Gesellschaft nützlich sind.