28. November 2023

Hamburger Initiative gegen die Anwesenheitspflicht in Schulen

Ende August diesen Jahres gründete sich in Hamburg die Volksinitiative Zukunft lernen – Bildung ohne Zwang. Ich bin heute über einen Mastodon Post des NDR darauf gestoßen. Ziel sind 10.000 Unterschriften aus dem Hamburger Schulbezirk. Die taz berichtete bereits im Oktober darüber.

Die Initiative fordert die Aufhebung der Anwesenheitspflicht an Schulen. Umgangssprachlich wird dies auch als die Aufhebung der Schulpflicht benannt, was aber falsch ist. Es geht den Initiatoren und deren Unterstützer darum, dass auch digitales Homeschooling erlaubt wird, so wie es sich für viele Schülerinnen und Schüler während der durch Corona bedingten Schulschließungen bewährt hat.

Der NDR berichtet nur in wenigen Zeilen über die Initiative. Dazu wird auch das Schulamt lapidar zitiert: "... es bestehe die Gefahr, dass politische oder religiöse Extremistinnen und Extremisten dann bestimmen, was Kinder lernen." Ein Link zur Website der Initiative ist im NDR Bericht nicht zu finden.

Dem Hörer oder Leser des NDR wird hier suggeriert: Leute, passt auf und beteiligt euch nicht an dieser Initiative, denn sie ist des Teufels. Das ist auch die landläufige Meinung über das Thema Schulpflicht.

Wir wissen es etwas besser und fassen hier nochmal kurz zusammen.

In Deutschland wurde die Schulpflicht 1919 eingeführt. Deutschland ist damit neben autoritären Staaten wie Nordkorea und China eines der wenigen Länder, in denen Kinder in eine staatliche Schule oder eine vom Staat genehmigte Ersatzschule gehen müssen. Die Anwesenheit der Kinder in der Schule wird überwacht. Wenn die Kinder nicht in der Schule erscheinen, erfolgt eine Meldung ans Jugendamt. Irgendwann kommt dann die Polizei. Dies ist nur die Kurzform.

Fortschrittliche Länder, insbesonders im Bereich Bildung fortschrittliche Länder kennen diese Schulpflicht nicht. In Frankreich, Holland, Dänemark, Schweden, Finnland, Österrich, Frankreich, Portugal und vielen weiteren Ländern müssen Kinder nicht in die Schule gehen. Teilweise gibt es in einigen Ländern Unterrichtungspflicht, teilweise gibt es auch Schulpflicht, die aber auch durch Homeschooling abgedeckt werden kann.

Ein Irrglaube ist, dass viele Kinder nicht mehr in die Schule gehen, wenn die Schulpflicht abgeschafft wird. So nehmen beispielsweise in Dänemark nur ein Prozent der Kinder die Möglichkeit wahr, anderweitig unterrichtet zu werden.

Es gibt sehr viele Kinder, die in der Schule, so wie sie heute besteht, massive Schwierigkeiten haben. Das sind einerseits Kinder, die eigenständig lernen wollen, das sind ebenso Kinder, die eigentlich einer besonderen Betreuung bedürfen. Jenen Kindern wird das derzeitige System nicht gerecht. Zum einen weil es mit sich selbst überfordert ist und zu wenig Personal zur Verfügung steht. Zum anderen, weil es unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Fähigkeiten und Neigungen ignoriert. So werden Talente im Pflichtschulsystem schlichtweg verbraten.

Durch diese Situation leidet das Gesamtsystem Schule. Die meisten Lehrkräfte sind damit beschäftigt die langsameren Schülerinnen irgendwie mitzuziehen und die schnelleren Schüler zu bremsen. Das ist ein momentaner immanenter Systemmangel.

Eltern wird im autoritätsorientierten Schulsystem das Recht auf freie Erziehung entzogen. Eltern, die für ihre Kinder den bestmöglichen Entwicklungsraum bieten wollen, haben keine Chance, dass dieser auch in der Schule angeboten wird. Dieses Art der Beschulung stammt maßgeblich aus den Jahren 1933 bis 1946 und früher und wird in Deutschland auch gut gepflegt und gehegt. Eine Schulpflicht gewährleistet dem Staat den vollen Zugriff auf die Gesinnungsprägung der Bevölkerung.

Die Schulen haben durch die Schulpflicht so etwas wie eine Monopolstellung. Die Befürworter des derzeitigen Systems sagen zwar. "Stimmt nicht! - Es gibt ja auch Privatschulen." Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig. Häufig ist es Eltern nicht möglich, für die Kinder eine geeignete Privatschule zu finden. Es scheitert meistens daran, dass keine geeignete Privatschule in erreichbarer Nähe ist. Oder sie nimmt keine Kinder mehr auf. Oder sie ist zu teuer. Außerdem werden Privatschulen sehr hohe Hürden für eine Genehmigung und den Betrieb auferlegt. Um die Bedingungen für eine Genehmigung zu bekommen, wird eine Privatschule quasi zu einer Staatsschule.

Die Monopolstellung der staatlichen Schule führt gleichzeitig zu ihrer Erstarrung und ihrer Beharrung auf überalterten Methoden. Bei der Inklusion hat Deutschland nach wie vor erheblichen Nachholbedarf. Bildung ist zwar Ländersache. Ein Wettbewerb zwischen den Ländern findet aber faktisch nicht statt. Es ist nicht so, dass sich das beste System durchsetzt und Erfahrungen geteilt und gemeinsam verbessert werden. Durch die Meinung, dass das Kind ja in die Schule gehen muss, können Schulen lange überholte Lernmethoden noch lange beibehalten.

Obwohl Deutschland seit 1919 eine Schulpflicht hat, ist die Quote der Analphabeten nicht geringer als in Ländern, die diese Pflicht nicht kennen. Dänemark hat keine Schulpflicht dort beträgt die Alphabetisierungsquote ebenso wie in Deutschland 99%. In Deutschland galten 2011 14% der Erwerbsfähigen Bevölkerung als funktionale Analphabeten. In Frankreich, wo die Einwanderungsquote etwa gleich hoch liegt, waren es etwa 9% (Tagesspiegel). Die Behauptung, dass eine Schulpflicht zwangsläufig eine bessere Bildung verspricht, ist also definitiv falsch.

Die Kehrseite der Schulpflicht wird gerne verschwiegen. Eltern, die durchaus in der Lage wären ihre Kinder zu unterrichten und dies auch versuchen, werden kriminalisiert. Oft mit gravierenden und schwerwiegenden Folgen. So gibt es zahlreiche Familien, die in Deutschland untertauchen, um dem Zugriff durch die Behörden zu entgehen. Es werden hohe Bußgelder verhängt. Eltern, die der Zwangsbeschulung entgehen wollen müssen viel Geld in Rechtsanwälte investieren, starke Nerven haben und sind gesellschaftlichen Anfeindungen ausgesetzt. Dabei entstehen zwangsweise psychosoziale Schäden für die Kinder. Durch die Abschaffung der Schulpflicht könnten diese Kolateralschäden einfach vermieden werden.

Die Aufhebung der Präsenzpflicht würde der Bildungslandschaft gut tun. Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Eltern und die gesamte Gesellschaft würde durch mehr Vielfalt profitieren. Durch digitale Unterrichtsformate könnte sichergestellt werden, dass allen Kindern auch außerhalb der Schule optimale Lernbedingungen zur Verfügung stehen. Wissensstanderhebungen könnten nach wie vor in Präsenz durchgeführt werden.

Insofern wünschen wir der Hamburger Initiative viele Unterstützerinnen und Unterstützer!

Eine sehr gute Übersicht, in welchen Ländern die Schulpflicht wie gehandhabt wird, gibt es auf der Seite Wohnsitz Ausland.