6. Dezember 2023
Die PISA Ergebnisse aus der Studie 2022 werden veröffentlicht
Eigentlich wollte ich gar nicht darüber schreiben. Denn die Kommentarspalten quillen über. Jeder Heinz und jeder Pseudoexperte fühlt sich berufen qualifiziert über die Ergebnisse der Studie zu schreiben. Vokabeln wie "Desaster", "Katastrophe", "Pisa-Schock" und "Absturz" machen die Runde.
Wir wollen aber etwas genauer hin schauen. Denn es lohnt sich. Zunächst einmal gebührt den Studienmachern ein ganz erheblicher Dank! "Zustände sichtbar machen" - so könnte man die Studie vielleicht beschreiben.
Durch den internationalen Vergleich der Ergebnisse können Politikverantwortliche und Pädagog*innen in Deutschland aus der Bildungspolitik und -praxis anderer Länder lernen.
Aus der PISA Studie
Ohne diese Studie gäbe es überhaupt keinen Vergleich. Die Studienmacher bemühen sich seit dreiundzwanzig Jahren darum, internationale vergleichbare Kriterien aufzustellen, wie es mit der Bildung steht. Es werden hierfür zahlreiche Parameter einbezogen. Und das ist wirklich hilfreich. Hilfreicher als Kommentare zu lesen ist es, die Studie selbst zu lesen. Sie wird selten verlinkt. Ich verlinke hier direkt den Download zur Auswertung für Deutschland und die deutsche PISA Seite der OECD.
Deutschland bewegt sich über dem Durchschnitt der OECD Staaten. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit hohem Leistungsniveau erreicht in etwa die gleichen Werte wie in der letzten Studie. Seit 2012 hat sich jedoch der Anteil der Schüler, die das Mindestkompetenzniveau nicht erreichen vergrößert.
Das ist - ganz grob zusammengefasst - die Quintessenz der Studie. Anders ausgedrückt: die Verantwortlichen in der Bildungspolitik haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht.
In den Kommentarspalten lesen wir jetzt oft, dass Migrantenkinder die Ursache für das schlechte Abschneiden sind. Und dass Kinder nach der Coronapandemie Konzentrationsschwierigkeiten haben. Beides sind Scheinargumente, wie wir sie nun vielfach lesen können. Denn Bildungspolitik bedeutet mitnichten, dass der Lehrermangel verwaltet wird. Bildungspolitik heißt, dass jedes Kind, jeder Jugendliche, jede Schülerin, jeder Schüler dazu befähigt wird an der freiheitlich demokratischen Gesellschaft teilzunehmen. So steht es in den Schulordnungen der Länder. Dazu gehören insbesondere und ganz besonders auch die Kinder aus den vulnerablen Teilen der Gesellschaft. So schlicht, so banal. Es passiert aber genau das Gegenteil. Statt gezielter individueller Sprachtrainings ab dem 4. Lebensjahr wird Scheinaktionismus betrieben. Ich empfehle euch: macht mal einen Teil des PISA Tests, es gibt allenthalben Originalaufgaben daraus. Ich glaube nicht, dass die Frau Oldenburgs und die Frau Priens im oberen Kompetenzbereich landen. Offenbar sind sie nicht einmal in der Lage die Studie zu lesen und zu verstehen.
Frau Oldenburg, der ja diese Seite auch gewidment ist, lässt nun vernehmen, dass in den Grundschulen mehr Deutsch und Mathematik unterrichtet werden soll. What? Wirklich? Ist das wirklich ihr ernst? Nun, seit über zehn Jahren herrscht Lehrermangel. Abzusehen war dies schon länger. Nun sollen die wenigen, bereits überlasteten Lehrerinnen und Lehrer auch noch mehr unterrichten, die Schülerinnen und Schüler noch länger überlasteten Lehrerinnen und Lehrern ausgesetzt werden. Bei der Vorstellung schüttelt es einen wirklich. In einer der besten Schulen Deutschlands werden gerade einmal zwanzig Minuten Mathematik in der Woche unterrichtet. Versteht ihr den Zusammenhang? Es ist empirisch erwiesen, dass mehr Mathematikunterricht nicht zwangsweise zu besseren Lern- und Prüfungsergebnissen führen. Das Gegenteil ist der Fall. Frau Oldenburg checkt das aber nicht und betreibt puren Populismus.
Es wird stets mit dem nackten Zeigefinger auf die Kinder gezeigt. »Die scheitern am Dreisatz« - titelt beispielsweise der Spiegel. Dabei gestalten die Kinder nicht ihren Schulalltag. Der Schulalltag wird bestimmt von Lehrerinnen und Lehrern, von Schulleiterinnen und Schulleitern und von schrägen behördlichen Vorgaben. Die Kinder sind die leid tragenden, werden aber nicht gefragt. Es muss Pflicht werden, dass jedes Kind mindestens einmal in der Woche gefragt wird: wie geht es dir? Es muss Pflicht werden, dass jedes Kind einen vertrauensvollen Ansprechpartner in der Schule hat, der auch erreichbar ist. Es muss Pflicht werden, dass Kinder ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung des Schulalltages gegeben wird.
Im PISA Musterland Estland werden alle Kinder bis zur Klasse 9 in der gleichen Schule beschult. Nach vier Grundschuljahren wird die Schule gewechselt. Schulen haben einen hohen Grad an Eigenständigkeit. Es gibt für jedes Kind kostenloses Mittagessen. Jedes Kind wird individuell gefördert, begleitet und evaluiert. Jedes Kind wird in die nächste Klasse versetzt. Sitzen bleiben gibt es nicht. Die Schule wird auch als Lebensraum wahrgenommen.
Was tun wenn die Politik versagt? Im Bildungsbereich versagt die Politik schon seit geraumer Zeit. Nicht anders ist beispielsweise das Aufstreben diverser Privatschulen zu erklären. Viele Eltern wollen für ihre Kinder "eine bessere" Schule. Auch wenn sie dafür viel Geld bezahlen müssen. Auch wenn diese Schulen manchmal schlicht andere Mängel haben. Was tatsächlich helfen könnte, wäre Selbsthilfe. Stefan Ruppaner, Schulleiter einer Gemeinschaftsschule sagt es in einem Beitrag bei Tagesschau sehr deutlich: am Geld mangelt es nicht. Wenn sich Eltern zusammen tun, die Schulleitung ins Boot setzen und einer Schule eine andere Prägung geben, dann würde das funktionieren. Ja, ich rufe hier ganz klar auf zum zivilen Gehorsam. Denn die Behörden werden es ebensowenig richten wie die Schulen oder die Politik. Der konstruktive Protest muss von der Straße kommen.