13. Mai 2022

Der Spiegel: »Viele Lehrkräfte basteln hinter verschlossener Tür selbst an Lösungen« - Interview mit Felicitas Thiel und Olaf Köller

Felicitas Thiel ist Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin, Olaf Köller ist geschäftsführender wissenschaftlicher Direktor am Leibniz-Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel. Zwei hochkarätige Experten müssten doch wissen worüber sie sprechen - sollte man meinen.

Frau Thiel meint zum Beispiel, dass es für die Schulen schwierig ist das passende Personal zu finden. Ihrer Ansicht nach wird zu viel fachfremd unterrichtet und Fachexperten seien nun mal die besseren Pädagogen. Frau Thiel und Herr Köller sind der Ansicht, dass zu viel individuell entwickelt wird und viel mehr standardisierte Programme verwendet werden sollten. Angeführt wird das von der Kultusministerkonferenz beschlossene Programm QuaMath. Damit sollen nun alle Kinder Regelstandards in Mathe erreichen.

Was hier gut gemeint ist, ist wieder einmal vollkommen praxisfremd. Das zeigen auch die Kommentare. Da suchen Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich nach dem Standardprogramm, mit dem sie ihren Unterricht abarbeiten können. Das ist eine Illusion. Wie in diesem Artikel vom Deutschen Schulportal gezeigt wird, ist QuaMath eine weitere Krücke, mit der planlose Lehrkräfte ein Stück weiter humpeln können.

John Hattie hätte nicht recht, wenn er sagt "Teacher matters": Auf den Lehrer kommt es an. Natürlich braucht der Lehrer fachliche Unterstützung, gutes Unterrichtsmaterial, eine gute Methodik, die idealerweise erprobt und evaluiert ist. Aber er braucht eben auch dieses eine - eben sehr wesentliche Quäntchen - Witz, Verstand und Empathie, um das gute Material auch an die Schüler zu bringen.

Thiel und Köller müssen in erster Linie ihren eigenen Berufsstand sichern und können schlecht sagen: ein Musiklehrer mit Herz und Empathie ist auch ein guter Mathelehrer. Denn was am Schluss für Thiel und Köller immer noch zählt, sind nachprüfbare Mathe Regelstandards. Uuaaaaaa! - Einem echten Pädagogen läuft es da heiß und kalt den Rücken herunter. Regelstandards? Regelstandards und Kinder? Das passt ungefähr so gut zusammen wie Elefant und Eiskunstlauf.

Da wird nun wieder ein Millionenprogramm aufgegleist, um neue Standards bis zur nächsten Wahl zu setzen, um dann zu erklären: "die Mathepunktzahl hat sich um 0,2% verbessert!" - großes Hallo, großes Schulterklopfen.

Schule geht besser! - Wie wäre es damit, dass einfach die Türen geöffnet werden? Jeder kann rein ins Klassenzimmer. Was dann geschieht? Dann kann jeder sehen, welcher Lehrer das beste Klima in einem Zimmer hat, jeder kann sehen, welche Methodik verwendet wird und welche Didaktik. Anders ausgedrückt: der Lehrberuf wird evolutionär. Da fehlt jetzt nur noch das "r" davor - aber es wäre genau dieses: die Bildungsrevolution. Jeder könnte sehen, in welchem Klassenzimmer autoritäre Methoden aus dem vorvergangenen Jahrhundert herrschen, jeder könnte sehen, wie es anders geht. Die Kollegen würden tuscheln: beim Kollegen Maier ... hast du das gesehen, mit welcher Freude die Kinder lernen? Wie macht der das? Du ... Kollege Maier ... wie machst du das? Was ist dein Rezept?

Es gibt so viele wunderbare Lehrer, die einen Matheunterricht machen, der weit über QuaMath hinaus geht. Es wäre doch ein Jammer, wenn dieses Potential mit irren Regeln kaputt gemacht würde. Manche davon sind fachfremd. Insofern ist auch das Argument, dass nur Fachexperten guten Unterricht machen können auch nicht zutreffend. Statistisch mag ein Fachexperte einen kleinen Vorteil haben. Ein wirkliches Argument gegen fachfremden Unterricht ist das allerdings nicht.

Versteht ihr was ich meine? Es braucht keine hochbezahlten Superexperten, die Jahrzehnte kein Klassenzimmer mehr wirklich von innen gesehen haben, die sich in ihren Elfenbeintürmen tolles Zeug ausdenken. Es braucht neue Wege.

Der Artikel im Spiegel steht hinter einer Bezahlschranke.