1. Juli 2022
Laut der jüngsten Studie ist das Leistungsniveau von Grundschülern deutlich gesunken
Die Tagesschau titelt Grundschüler lesen und rechnen immer schlechter, der Spiegel titelt Defizite in Deutsch und Mathe bei Viertklässlern - »Es wird schwierig, das aufzuholen«, die Zeit titelt Grundschüler: "Die Lage ist wirklich besorgniserregend", andere Zeitungen titeln ähnlich.
Die Rede ist jedesmal von der gleichen Studie. Die Studie wurde durchgeführt vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Berlin. Die Redaktionen haben nichts anderes zu tun, als den Text der Presseabteilungen halbherzig umzudichten.
Denn: wer hier unterwegs ist, weiß es besser. Die Überschriften müssten lauten: »Das Deutsche Bildungssystem ist eine Katastrophe«, »Pädagogik von gestern für die Kinder von heute«, »Lehrer werden immer schlechter«, »Pädagogikchaos in den Klassenzimmern gefährdet unsere Zukunft« - usw.
Denn auch diese Frage sei erlaubt: machen unsere Kinder unser Bildungssystem? Oder diese: Sind unsere Kinder am schlechten Bildungssystem schuld? Und sobald man die richtigen Fragen stellt, kommt man auch auf die interessanten Antworten. Was hier von Politikern und Pressevertretern gemacht wird, ist der eigentliche Skandal. Politiker lenken mit ihren Pressestäben sehr wirkungsvoll ab von den wirklichen Ursachen. Und die Pressevertreter kauen genau das nach, was die politischen Presseabteilungen ihnen vorkauen. So kann man auch ohne viel Phantasie zu dem Ergebnis kommen, dass auch unsere Presselandschaft das Ergebnis einer fehlgeleiteten Bildungspolitik ist. Selber denken ist da nicht gefragt. Fressen und auskotzen ist das Gebot der Stunde. Das klingt hart. Wenn man aber erleben muss, mit welcher Vehemenz sowohl an den meisten Schulen und in vielen Studien die Ursachen verkehrt und geleugnet wird und mit welcher Energie auf den tatsächlich unschuldigen Schülern herumgedroschen wird, kann schon Wut und Verzweiflung hoch kochen. Mit dieser Tatsachenleugnung werden wir die Aufgaben der Zukunft nicht lösen können.
Um auch mit diesem Märchen aufzuräumen: nein, es sind auch nicht die Migrantenkinder oder die Elternhäuser die für die Bildung verantwortlich zeichnen. Auch da geht der Zeigefinger in die falsche Richtung. Migrantenkinder sind häufig bildungswilliger als Nichtmigrantenkinder und der Elternwille wird eh konsequent aus den Schulhäusern ausgeschlossen. Ja, die Gesellschaft verändert sich und genau dies muss das Bildungssystem auch tun. Das ist das, was diese Studien zeigen.
Ich war erst gestern auf einer schulischen Veranstaltung. Die Klasse 5c hatte Schulabschluss mit einem kleinen Grillfest und einer Übernachtung in der Schule. Der Herr Lehrer hielt auch eine Ansprache. Die ging weniger als eine Minute. Nach einer halbherzigen Begrüßung "Schön, dass Sie alle da sind ..." - kam er sofort zur Sache: "im kommenden Jahr werden die Gespräche geführt über die weiterführenden Schulen" - genau, wir befinden uns in Mecklenburg, dem Land der bekloppten Orientierungsstufe. Weiter: "ich werde den Kindern im kommenden Schuljahr noch stärker sagen, dass es darauf ankommt!" - Damit war seine Botschaft beendet. Ja, es wurde tatsächlich geklatscht. Kein Wort des Dankes an die Schüler. Kein Wort des Lobes an die Schüler. Kein Wort der Freude, dass das abgeschlossene Schuljahr gefeiert werden kann. Wo, liebe Leserin, lieber Leser, soll da die Motivation eines Schülers oder einer Schülerin herkommen etwas zu lernen? Soll diese Motivation vom Himmel fallen? Versteht ihr mich? Versteht ihr, was die Misere auslöst? Versteht ihr meine Verzweiflung?
Dieses spackenhafte gebetsmühlenartige Wiederholen von Mantras über Lernrückstände führt nicht nur zu nichts. Es führt zu frustrierten Schülern, dann zu noch frustrierteren Lehrern und führt dann dazu, dass eine Frau Prien ihr Presseheer in Bewegung setzen kann, um ihre politischen Interessen zu befeuern. Und die Eltern klatschen. Und die Bildungsminister der Länder tun es der Frau Prien nach. Und schon ist die wildeste Propagandamühle in Gang. Auf dem Rücken der Kinder.