13. Januar 2023
Ist ChatGPT wirklich die große Herausforderung für Schulen?
Der Dienst ist seit seinem Start im Herbst in aller Munde: ChatGPT. Wir klären kurz was das ist. ChatGPT ist ein Dienst. Für die Nutzung ist eine Anmeldung erforderlich. Man kann - ähnlich wie bei einer Suchmaschine - Text in ein Textfenster eingeben. Der eingegebene Text wird an den Dienst übermittelt und der Dienst liefert dann einen Antworttext. Das System segelt unter dem Label der KI. KI ist die Abkürzung für künstliche Intelligenz. Im Gegensatz zu Suchmaschinen, die keine Inhalte neu kombinieren, werden die Antworttexte nach recht komplizierten Algorithmen zusammengesetzt. Wer etwas tiefer einsteigen will, findet natürlich in der Wikipedia einen Anlaufpunkt zu ChatGPT. Ob das System nun tatsächlich eine Art von künstlicher Intelligenz besitzt, lassen wir einfach mal dahin gestellt sein. Fakt ist, dass es sich aus vorhandenen Textquellen aus dem Internet Textschnippsel zu den vom Anwender übermittelten Texte zusammen sucht und neu kombiniert. Dabei bezieht ChatGPT auch den bisherigen Dialog mit dem Benutzer und auch mit anderen Benutzern in seine Ergebnisse mit ein. Teilweise werden höchst erstaunliche Ergebnisse präsentiert.
ChatGPT wurde von der Firma OpenAI in San Francisco entwickelt. OpenAI wurde mit dem Ziel gegründet, künstliche intelligente Systeme zum Wohle der Menschheit zu entwickeln. Wir kennen solche Floskeln bereits von der friedlichen und umweltfreundlichen Nutzung der Atomkraft, dem früheren Leitspruch von Google, der dann 2018 aus dem Leitbild entfernt wurde. Otto Lilienthals Vision bei der Erfindung von Fluggeräten war, dass dann Grenzen überflüssig und sinnlos werden - das Flugzeug als Werkzeug zu einer freien Welt. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen und nun tritt ChatGPT als Werkzeug für eine gute Welt auf den Plan. Zweifel sind angebracht.
Nicht nur im Schulkontext wird nun lebendig darüber diskutiert, ob ChatGPT jetzt alle Arbeiten revolutioniert. Es wird darüber diskutiert, ob Programmierer nun überflüssig werden. Ja, ChatGPT kann auch Programmcode schreiben. Besonders im Schulkontext steht das Szenario im Raum, dass sich Schülerinnen mit dem Roboter Hausaufgabentexte machen lassen können. Für einige Pädagoginnen ist diese Vorstellung der blanke Horror. Andere nutzen das System bereits aktiv im Unterricht.
Wir drehen das Zeitrad mal etwas zurück. Vor wenigen Tagen, am 8. Januar 2023 wäre der 100. Geburtstag von Joseph Weizenbaum gewesen. Joseph Weizenbaum war ein Computerpionier. Wie ihr in der Quelle selbst lesen könnt, bezeichnete er sich als Dissident und Ketzer der Informatik. Wir dürfen davon ausgehen, dass Joseph Weizenbaum durchaus wusste was er tat und womit er es bei den Maschinen zu tun hatte. Wir dürfen auch davon ausgehen, dass Joseph Weizenbaum sich mit den Folgen der Maschinennutzung für die Gesellschaft kritisch auseinander gesetzt hat. Vermutlich die bekannteste seiner Schöpfungen ist der 1966 entwickelte Chatbot ELIZA. Chatbot ... ChatGPT ... das klingt nach Verwandtschaft. Was nach Verwandtschaft klingt, ist auch Verwandtschaft. ELIZA konnte Texteingaben entgegen nehmen und darauf antworten. Die Antworten waren in der Art und Weise, dass Psychologen das System schon als Ersatz für menschliche Therapeuten sahen. Das war 1966. Die Intention, unter der Joseph Weizenbaum ELIZA entwickelte, war jedoch eine ganz andere. Joseph Weizenbaum wollte zeigen, dass Computer in der Lage sind natürliche Sprache teilweise zu verstehen, zu synthetisieren und aus Begriffen verständliche Sätze zusammenstellen können. Joseph Weizenbaum überraschte es sehr, dass viele Benutzer das System ernst nahmen und ihm auch höchst vertrauliche Dinge anvertrauten. Es war dies ein einschneidendes Erlebnis für ihn. Er wurde mehr und mehr zum Kritiker einer um sich greifenden Computergäubigkeit.
Nun sind die Algorithmen im letzten halben Jahrhundert deutlich ausgefeilter geworden. Die Computer sind leistungsfähiger geworden. Die Speichermöglichkeiten und Verarbeitungsgeschwindigkeit im Vergleich zur Erfindung von ELIZA quasi unbegrenzt. Aber wie ist das jetzt mit solchen Maschinen? Auch hier ist das Prinzip einfach. Wenn man eine kleine dumme Maschine hat und skaliert diese um einen Faktor 10.000 oder 1 Mio. hoch, dann hat man eine riesengroße dumme Maschine. Nichts anderes ist ChatGPT.
Die Angst vor ChatGPT, insbesondere bei Pädagoginnen, zeigt etwas ganz anderes. Es zeigt in wunderbarer Pracht und Klarheit, wie kaputt dieses Schulsystem ist. Wenn eine Lehrerin nicht mehr erkennt, ob ein Text originär vom Schüler selbst verfasst wurde, läuft etwas komplett schief. Wenn eine Schülerin gar nicht mehr den Anspruch an sich selbst hat, einen originären Text selbst zu verfassen, sondern nur noch den Anspruch hat die Lehrerin schnell zufrieden zu stellen und eine gute Note zu kassieren, dann läuft etwas doppelt komplett schief. Das gleiche gilt auch für den Programmierer. Denn die Maschine ist mitnichten in der Lage eine komplexe Aufgabe zu verstehen, in Logik umzusetzen und die dann notwendige Codearchitektur aufzubauen. Die Maschine kann nur zusammengesuchte Codeschnippsel wieder neu in der Syntax einer Programmiersprache zusammensetzen. Das ist banal.
ChatGPT ist ein Werkzeug. Ein Werkzeug wie ein Bleistift, ein Taschenrechner, ein Hammer, ein Traktor, ein Oszilloskop usw. Zugegeben, es ist ein komplexes Werkzeug. Je komplexer ein Werkzeug ist, umso eingeschränkter ist seine Einsatzmöglichkeit. ChatGPT kann weder Kaffee kochen noch Brötchen backen und wenn der Strom abgestellt wird, kann es gar nichts mehr. Komplexe Werkzeuge verleiten die Anwender dazu zu glauben, dass sie bestimmte Fähigkeiten haben. Ein Schreiner wird jedoch eine hochtechnisierte CNC Anlage nur optimal bedienen können, wenn er auch mit dem Handhobel umgehen kann. Das gilt ebenso für ChatGPT. Je genauer ich die Maschine, deren Arbeitsweise, deren Grundlagen kenne, desto sinnvoller kann ich sie auch einsetzen. Das ist die Grundlage der kulturellen Evolution. Ohne auch die Grundlagen der Elektrotechnik zu verstehen, werde ich kein E-Auto bauen können. Angst ist dabei immer ein schlechter Berater. Auch Angst vor neuer Technik hilft nicht, qualifizierte Kenntnis über sinnvolle und sinnlose Einsatzmöglichkeiten zu erlangen.
Den Pädagoginnen ist zu wünschen, dass folgendes reflektiert wird: das meiste, was heute in den Schulen praktiziert wird, ist tatsächlich überflüssiger Bullshit, weil Maschinen das deutlich schneller und besser können. Dass Kinderhirne damit beschäftigt werden langweilige Vokabeln auswendig zu lernen, Grammatikregeln auswendig zu lernen und auf vorgefertigte Fragen korrekt zu antworten, ist nicht nur lebensfremd sondern sogar gefährlich. Die damit erreichbaren guten Noten qualifizieren mitnichten dafür lebensfähig zu sein und - wie die Landesschulordnungen verlangen - zu einem Mitglied der freien demokratischen Gesellschaft zu werden.
Auch hierzu ein Beispiel aus der richtigen Welt. Gestern kam das Kind hocherfreut vom Einkaufen. Am Dönerstand haben sie eine Schüssel mit Salat geschenkt bekommen. Es war schon abends und es war einfach noch so viel Salat da, dass der Dönerstandmann den Salat verschenkt hat. Das Kind war des Lobes voll: "ein Ehrenmann!" - Derweil beschäftigen sich hochkarätige Experten und Fachleute damit, ob nun Containern strafbar ist oder nicht. Der Dönermann hat möglicherweise eine andere Religion als die christliche. Seine Deutschkenntnisse sind möglicherweise rudimentär. Wie er wohl in der Matheprüfung für die mittlere Reife abschneiden würde? Wir wissen es nicht. Aber er ist eines: ein Teil der Gesellschaft. Und er ist klug! Er verhindert, dass Essen weggeworfen wird. Er sorgt für Freude und Kundenbindung. Er handelt sozial und empathisch. Er handelt kreativ und nicht wie eine Maschine. Er ist für meinen Sohn ein besseres Vorbild, als zahlreiche, teilweise mit Doktorwürden und Universitätsabschlüssen dekorierten Lehrpersonen. Möglicherweise, so können wir hoffen, macht ihm seine Arbeit auch Freude.
Um es nochmal deutlich zu sagen: wir brauchen diesen Paradigmenwechsel. Wir brauchen den Paradigmenwechsel weg vom standardisierten auswendig lernen vorgegebener Inhalte, hin zum selbst erleben und selbst erarbeiten sinnvollen Zusammenhängen. Ja genau: das ist dann nicht mehr standardisiert abfragbar und in vergleichbaren Zahlen von eins bis sechs abbildbar. Da diese Zahlenskala aber eh unbrauchbar ist, können wir diese auch gleich auf den Misthaufen der Geschichte werfen. Dem dummen ChatGPT sei dank!
Von einem solchen Paradigmenwechsel wird die Welt nicht untergehen. Garantiert nicht! Da geht sie eher an der Computergläubigkeit und an der Angst vor ChatGPT unter.