15. August 2023

Clemens Muth, Vorstandsvorsitzender der DKV weiß genau was Kinder brauchen ...

Es ist wirklich nur eine gute Sekunde, aber sie lässt mir den Atem stocken. Wirklich. Clemens Muth, Vorstandsvorsitzender der DKV weiß es genau: Sportunterricht ist so wichtig wie Mathe und Deutsch ... - hier die Originalpassage bei Youtube.

Basis für seine Behauptung ist eine Umfrage der Sporthochschule Köln und der privaten Krankenversicherung DKV, die die Wissenschaftler zu einem 56seitigen Report verarbeitet haben. Geziert wird der Report mit Namen hochrangiger Wissenschaftler wie Prof. Dr. Ingo Froböse und Dr. Birgit Wallmann-Sperlich.

So weit, so gut, so richtig - möchte man meinen. Aber Papier ist geduldig und der Fernsehzuschauer umso mehr. Wenn ich den vom deutschen Gesundheitssystem gepamperten und grinsenden Herrn Muth über die Bewegungsarmut bei Kindern sprechen höre, stockt mir nicht nur der Atem. Eine solche Einstellung und Äußerung bereitet mir Sorge. Sind diese hochkarätig bezahlten sogenannten Leistungsträger wirklich so dumm?

Spulen wir mal zurück auf Los. Was wissen wir? Wir wissen, dass jedes neugeborene Kind einen ureigenen Bewegungsdrang hat. Wir wissen, dass unsere Gesellschaft sehr gerne ruhige und angepasste Kinder hat. Viele Erwachsene stören sich am Bewegungsdrang der Kinder. Sobald die Kinder krabbeln können, werden sie in Kindergitter eingesperrt. Schon da beginnt der große Betrug an den Kindern. Es ist "zu ihrem Schutz" - so die weichverlogene Begründung der Erwachsenen. Wenn die Kinder älter werden, werden sie in Kinderwägen durch die Gegend geschoben und schonmal daran gewöhnt, dass sie "bewegt werden". Am Essenstisch sollen sie still sitzen und warten, bis alle fertig gegessen haben. Und so geht es weiter. Klettern dürfen Kinder nur unter Aufsicht an TÜV-zertifizierten Vorrichtungen. So werden Kinder früh konditioniert, dass sie sich bitte nichts zutrauen dürfen. Manches Kind blickt zunächst besorgt zur Mutter, bevor es eine neue Bewegung ausprobiert. Kindertagesstätten sind überlastet. Zum einen müssen sie zurecht kommen mit Kindern, die aufgrund gewachsener Gewohnheit ihren Bewegungsdrang in Aggression ausleben. Sie müssen ängstlichen Eltern gerecht werden, sie kämpfen mit Personalmangel und viele Kindertagesstätten leiden unter Platzmangel. Was daraus folgt, wissen wir auch: durch ausreichend Bewegung und freies Spiel draußen wird die Kognition gefördert, durch unzureichend Bewegung wird die Kognition gehemmt.

Spätestens mit Schuleintritt ist der Spaß endgültig vorbei. Morgens heißt es still sitzen und dem Lehrer zuhören, nachmittags heißt es still sitzen und Hausaufgaben machen, weil der Lehrer mit schweren Konsequenzen droht. Genau Herr Muth, und deswegen ist Schulsport so wichtig! - Ist dieser Mann denn vollständig von Sinnen? Ich weiß, die Meinung hat er nicht allein. Aber es geht noch besser. Die Kinder, die nun bewegungsmäßig benachteiligt im Schulsport erscheinen, werden dort weiter benachteiligt, von Mitschülern mehr oder weniger offen gemobbt und ein letzter Rest von Bewegungsdrang wird ihnen von einem übereifrigen Sportlehrer auch noch ausgetrieben.

Wir spulen jetzt nochmal zurück in die Kindheit und Jugend des Sportlehrers. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Kind, welches bewegungsarm geprägt wurde eine Sportlehrerkarriere einschlägt. Das heißt, dass wir es beim Sportlehrer mit einer Persönlichkeit zu tun haben, die weiß, wie man Höchstleistung erzielt, wie man Wettbewerbe gewinnt, wie man erster Sieger wird. Solche Persönlichkeiten werden dann auf die Kinder losgelassen. Ja, es mag Ausnahmen geben. Aber die meisten mir bekannten Sportlehrer glänzen im Unterricht mit zweifelhaften Drillmethoden. Aussagen wie: "so lernst du das nie ...", "du bist einfach zu langsam ...", "streng dich mal ein bisschen an ..." sind an der Tagesordnung. Schlechte Noten in Sport gelten dem Lehrer als eine Motivation. Schon allein die Vorstellung davon, dass Sportunterricht nicht benotet wird, treibt jeden ordentlichen Sportlehrer zur Verzweiflung.

Die Pausenhöfe von Schulen sind so klein, dass das Aufsichtspersonal schon mit still stehenden Kindern überfordert ist. So wird an vielen Schulen auch in den Pausen verboten, dass sich Kinder bewegen.

Schule geht besser. Das ist das Motto dieser Seite. Wie geht es besser? Reformschulen machen es vor. Lernlandschaften, in denen sich Kinder frei bewegen können, in denen sie sich selbst Pausenzeiten mit Bewegung gönnen können. Weg mit der Benotung im Sportunterricht. Gerade in Sport und Kunst ist die Benotung nicht nur kontraproduktiv sondern ungerecht. Pausenhöfe, in denen sich Kinder auch bewegen können und dürfen. Das einzige was getan werden muss, um die Misere zu beheben: Kinder müssen mehr Achtung für ihre Bedürfnisse bekommen. Und sie müssen hierfür angemessene Räume bekommen.

Und noch etwas: Vorstandsvorsitzende von Krankenversicherungen, die keine Ahnung haben, sollten einfach mal ihren Mund halten.