26. Mai 2025
Bildungsprotest in Schwerin
Ich war für euch auf einer Demo. In Schwerin. Schwerin ist die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern.
https://bildungsprotest-sn.de - dort haben die Veranstalter die Informationen zusammengestellt.
Die Forderungen lesen sich alle sehr moderat und vernünftig. Es ist nichts dabei, was den Eindruck aufkommen lassen würde, dass die Schülerinnen und Schüler nicht wissen wovon sie sprechen.
In dem 21-seitigen Dokument gibt es fünf Hauptpunkte:
- Mentale Gesundheit stärken
- Strukturelle Reformen – Eine Schule der Freiheit
- Demokratiebildung – Demokratie macht Schule
- Schülermitwirkung – Selbstwirksamkeit erfahren
- Soziale Gerechtigkeit – Chancen schaffen
Im Vorfeld schlugen die Wellen bereits hoch. Der Nordkurier titelte, dass die Schüler "brisante Forderungen" stellen würden. Die Bildungsministerin Frau Simone Oldenburg wiegelte schon vorher ab, dass die Landesregierung ja schon eifrig tätig werde. Und der Landeselternrat ist der Ansicht, dass über den Sinn von Hausaufgaben nicht diskutiert werden kann.
Tobias Lankow, Vorsitzender des Landeselternrats sagt: "Ein Abitur ohne Deutsch, Mathe und Naturwissenschaften ist für Eltern unvorstellbar."
Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke): „Hausaufgaben bleiben als wertvolle Lern- und Übungszeit eine wichtige Ergänzung des Unterrichts“
Michael Blanck vom Landesverband für Bildung und Erziehung sagt: „Zur Einführung der Kopfnoten hatten wir eine große Diskussion. Es war eine klare Forderung aus der Wirtschaft. Wenn wir die wieder abschaffen, bleibt die Frage: Was machen wir dann?“
Erwachsene haben offenbar noch einigen Nachholbedarf in der Frage wie moderne Schule geht.
Also. Ich war auf der Demo. Ich war seit etwa 45 Jahren auf keiner Demo - diese war mir dann aber doch wichtig. Ich wollte auch ein bisschen von der Atmosphäre einfangen. Ich versuche, etwas davon wieder zu geben.
Es war Kaiserwetter für eine Demo. Sonnenschein, aber nicht zu warm. Es herrschte eine friedliche Atmosphäre. Die Schülerinnen und Schüler waren top vorbereitet. Es war alles top organisiert. Es gab eine Bühne mit Soundanlage. Selbst im hinteren Bereich des Marktplatzes waren die meisten Sprecher noch gut zu verstehen. Die Reden waren brilliant und klar in ihrer Aussage. Die anwesenden Schülerinnen und Schüler machten eine gute Stimmung - im Vorfeld wurden Trillerpfeifen verteilt, die auch kräftig genutzt wurden. Mir wurde nur nicht immer klar, ob es Zustimmung oder Ablehnung war ... Ich habe mir ein Schild geholt "Bildung darf nicht krank machen" - das ist schlicht und deutlich formuliert und es kann da auch gar keinen Widerspruch geben.
Ich sprach dann einen Polizisten an, dass er ja noch kein Schild hätte. Da meinte er, dass ihn diese Demo ja nichts anginge. Er wäre ja nicht mehr in der Schule. Er war ca. 30 bis 35 Jahre alt. Dass seine Zukunft auch von dieser Jugend abhängt? Dass er vielleicht auch einmal Kinder haben wird? So weit können wohl nicht alle Polizisten in Mecklenburg denken. Er würde, so sagte er mir weiter, lieber gegen etwas anderes demonstrieren. Aber das wäre ihm verboten. Keine Pointe.
Ich wurde von Anzug- und Kravatte-tragenden älteren Männern als erwachsener Teilnehmer erkannt und begrüßt - per Handschlag. Es waren offenbar größtenteils bereits aus dem Dienst ausgeschiedene Lehrer, alle kannten sich. Einer der Herren meinte im von sich selbst überzeugten Lehrerton "Es muss doch auch die Gesundheit der Lehrer berücksichtigt werden". Nun - wo er recht hat, da hat er recht. Was ihm aber offenbar noch nicht aufgefallen ist, das ist die Tatsache, dass wenn insgesamt der Stresslevel an Schulen sinkt, dass dann auch der Stresslevel für das Lehrpersonal sinkt. Nun. Ältere Herren. In Anzug. Mit Kravatte.
Ein älterer männlicher Passant stand kopfschüttelnd am Rande des Geschehens. Ich ging etwas näher und er sagte im empörten Verschwörerton "die werden doch alle Missbraucht!". Zehn Minuten später stand er immer noch da. Und schüttelte mit dem Kopf.
Im hinteren Bereich des Marktplatzes standen ein paar Schüler. Ich fragte einen von ihnen, wo denn seine Eltern seien. Die seien arbeiten. Ob die sich nicht für seine Anliegen interessieren, fragte ich weiter. Doch, sie hätten darüber gesprochen und fänden gut, dass er mit demonstriere. Er fand, dass die Schulen auf jeden Fall mehr Geld bräuchten. So eine digitale Tafel würde ja gut und gerne 10.000 Euro kosten. Dass es Schulen gibt, die diese digitalen Tafeln wieder abgeschafft haben, wollte er nicht wissen. Und dass ein Paradigmenwechsel kein Geld kostet, war ihm auch nicht so recht geheuer.
Wir hörten ein sehr schön gesungenes "Mama Mia" von Abba und ein weiteres Lied ... das ich vergessen habe.
Besonders perfide agierten die auf der Bühne versammelten Politikerinnen. Alle versuchten sie, die Bewegung für sich zu vereinnahmen. Das war widerlich. Der Herr von der FDP sprach davon, dass er ja für mehr Freiheit der Schulen einstehen würde. Der Herr von der CDU sagte, dass wenn die CDU an der Regierung wäre, würde alles viel besser. Und die SPD Vertretung meinte, dass ihre Partei ja eh für "soziales" stehe und daher die Schüler und Schülerinnen nur die SPD vertreten würden. So viel Verlogenheit auf einem Haufen habe ich noch selten erlebt. Das war unterste Schublade.
Folgende individuelle Plakattexte habe ich gesehen:
- Für Mathe zu wenig Punkte - für Bildungspolitik zu viele
- Lernen soll Freude machen - nicht Angst
- Lernen darf kein Luxus sein - Bildungsgutschein jetzt!
- Wer Chancen will, muss welche schaffen!
- Bildung schützt vor Hass!
- Demokratie lebt vom Mitmachen!
- Schild schreiben war einfach - Bildung reformieren nicht?
- Extremismus wächst dort, wo Bildung stirbt
- Ich hätte gerne Chancen, nicht nur Prüfungen
- Chancengleichheit, weil in uns allen das gleiche Blut fließt!!!
Das war alles deutlich origineller und aussagekräftiger, als der Politikerinnensprech.
Ich wünsche mir, dass dieser Protest niemals abreist und sich möglicherweise wandelt in eine starke und unaufhaltsame Bewegung ...
Nachdenklich macht mich zu Hause das Ergebnis einer Umfrage in der Ostsee-Zeitung. 78,3% der an der Umfrage Teilnehmenden sind gegen die Abschaffung von Hausaufgaben. 20% sind dafür und 1,8% wissen es nicht.
Es ist ein enormer Aufklärungsbedarf quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Altersstufen notwendig.